: Einzeltäter kommen nicht aus dem Nichts
Die Trauerfeier für die ermordeten Roma von Oberwart geriet zum Staatsakt / Die österreichischen Ausländergesetze werden nach dem Anschlag jedoch kaum geändert werden ■ Aus Oberwart Robert Misik
Es ist Samstag, zwei Uhr mittags. Im gesamten Burgenland, dem östlichsten und ärmsten Bundesland Österreichs, läuten die Kirchenglocken. In Oberwart beginnt zur selben Zeit das Begräbnis der vier vor einer Woche ermordeten Roma. Der Trauergottesdienst in der Oberwarter Osterkirche, einem monströsen Betonbau, bekam durch die Anwesenheit des Bundespräsidenten sowie fast der gesamten Bundesregierung praktisch die Dimension eines Staatsbegräbnisses.
Noch zu Wochenanfang hatte das „offizielle Österreich“ auf den Sprengstoffanschlag weitgehend ungerührt reagiert – dann aber war das Klima ins Gegenteil umgeschlagen. Schon am Donnerstag hatte Bundeskanzler Franz Vranitzky den Hinterbliebenen der ermordeten Roma persönlich kondoliert. Selbst der Innenminister Franz Löschnak, bekannt durch seine rigiden Ausländergesetze und durch chronische Erfolglosigkeit bei der Verfolgung der Neonaziszene, ließ es sich nicht nehmen, dem Staatsakt beizuwohnen. Viele hielten das für eine Geschmacklosigkeit. Das österreichische Fernsehen übertrug life.
Vor dem Altar stehen die vier Särge von Erwin Horvarth (18), Karl Horvarth (22), Joseph Simon (40) und Peter Sarközy (27). Vor einer Woche wollten sie eine Tafel abräumen, auf der die aggressive Losung geschrieben stand: „Roma zurück nach Indien“. Doch was als „bloße“ rassistische Parole erschien, war eine Sprengladung. Bei der ersten Berührung detonierte die Bombe, die vier Männer waren sofort tot. In einem neunseitigen (!), geschichtsmythologisch überladenen Bekennerschreiben erklärte eine „bajuwarische Befreiungsarmee“ ihre Verantwortung für den Anschlag. Nach vier neonazistischen Bombenserien, die mehrere Schwerverletzte forderten, die ersten Todesopfer innenpolitisch motivierter Gewalt seit 1965 – damals war der Antifaschist Ernst Kirchweger von Nazis erschlagen worden.
Im Zentrum des Kirchenschiffes sitzen die trauernden Rom-Familien, flankiert von der Crème der österreichischen Gesellschaft. In der letzten Reihe sitzen Claus Peymann und George Tabori. Karl Stojka, der charismatische Roma- Führer, Zentralgestalt der Stojka- Familie, aus der viele anerkannte Musiker des Landes stammen, spricht in romanes. „Warum“, fragt der elegante und kämpferische Mann, „warum? Nur weil ihr so geboren wurdet!“
Posthum werden die vier Toten, zeit ihres Lebens am Rande der Gesellschaft, eingemeindet. Nicht müde werden die Würdenträger, darauf hinzuweisen, daß die burgenländischen Roma seit Jahrhunderten hier leben, österreichische Staatsbürger sind – als erstes Land Europas hat Österreich den Roma 1993 den juristisch vorteilhaften Status einer Volksgruppe zugebilligt; nicht Ausländer, sondern Österreicher seien also getötet worden. Keiner scheint zu begreifen, wie das politische Klima in einem Land sein muß, wo es nötig scheint, so zu argumentieren: Wären die Morde nicht so verdammenswert gewesen, hätte es sich um Menschen ohne österreichischen Paß gehandelt?
Nein, nicht aus der Mitte der Gesellschaft kämen diese Taten, meint Bundespräsident Thomas Klestil, ganz ausschließen will er aber nicht, daß das Klima im Land den Terror begünstige – und sagt dies mit den Worten eines prominenten Ghostwriters: „Auch Einzeltäter kommen nicht aus dem Nichts.“ So sprach Richard von Weizsäcker auf der Trauerkundgebung für die Opfer des Anschlages von Solingen.
Dann öffnen sich die Kirchentore. Ein langer, dunkler Trauerzug zieht durch die idyllische, gewellte Landschaft. Ein paar hundert Meter weiter liegt der Friedhof. Etwa 4.000 Menschen folgen den Särgen. Am Rand steht Karl Stojka, er ist wütend. „So sind wir schon in Auschwitz- Birkenau marschiert“, schreit der Mann. Der Friedhof ist überfüllt: Roma, Vertreter von Volksgruppen, Prominente, kleine Leute und ein paar Veteranen aus dem kommunistischen Widerstand.
Dann verläuft sich die Menge, die Prominenz saust nach Wien zurück, erfüllt ist nun die Demokratenpflicht. Der Innenminister tappt weiter im dunklen, vorsorglich hat er eine Prämie von 3.000.000 Schilling, cirka 480.000 Mark, zur Ergreifung der Täter ausgesetzt, die höchste in der Geschichte der Republik.
Kaum anzunehmen ist, daß die schönen Worte von Oberwart irgendwelche Auswirkungen auf die konkrete Politik im Lande haben werden, daß eine Ausländerpolitik geändert würde, die – rechtsstaatlich getarnt – die Opfer ins Visier nimmt. „Das Aufenthaltsgesetz“, sagt der Schriftsteller Doron Rabinovici bei einer Demonstration in Wien, „mag so manches aufhalten, aber es hält keinen Neonazi auf.“ Der Architekt dieser Gesetze, Innenminister Franz Löschnak, warf am Samstag nachmittag eine Schaufel Erde ins Grab der toten Roma. Dabei, so wollen es manche gesehen haben, hätte der rührselige Minister Tränen in den Augen gehabt. Ein in vielerlei Hinsicht trauriger Politiker.
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