: Nur ein paar Zähne verloren
■ Für einen neuen Schwejk fehlt es an Bauernschläue und Zynismus: „Der Bekehrte“ von Kazimierz Kutz im Forum
Zeitgleich mit dem Wecker dröhnt die Werkssirene. Tomasz springt aus dem Bett, macht ein paar Kniebeugen, seine Frau betet. Nach der Arbeit soll er bei einer illegalen Demonstration der Solidarność für die Partei Kollegen identifizieren. Tief bewegt singt der Gemütsmensch die patriotischen Lieder mit und wird prompt selbst verfolgt.
Die Jagd durch die Hinterhöfe von Katowice entwickelt sich zum puren Slapstick. Fortan wird Tomasz hin- und hergeschubst, geschlagen und muß wieder rennen – diesmal die Treppen des Polizeipräsidiums hoch und runter. Mit der immer gleichen Antwort wehrt er sich erfolgreich und landet endlich wieder am heimischen und sicheren Busen seiner Ehefrau. Zwischenzeitlich hat er noch mitgeholfen, eine Kirche zu bauen und sammelte im Meßdienergewand die Kollekte. Am Ende ist die morgendliche Sirene durch Kirchenglocken ersetzt, und im Radio werden Gottendienste statt politischer Mitteilungen übertragen. Die Revolution hat gesiegt, Tomasz ein paar Zähne verloren und muß sich nun von seiner Frau füttern lassen.
Regisseur Kazimierz Kutz hat sich zu „Der Bekehrte“ durch seinen eigenen Schwager inspirieren lassen, „einen echten Trampel“, dem diese Geschichte tatsächlich ungefähr so passiert ist: „Seine ganze Familie saß vorm Fernseher und wußte sofort, um wen es geht. Nur er tat so, als ginge ihn das alles nichts an. Er hat sich also genauso benommen, wie sich auch die Figur in dem Film benommen hätte.“ Tomasz ist kein neuer Schwejk, dazu fehlen ihm Zynismus und Bauernschläue. Eher schon ein witziger Mann ohne Eigenschaften wie Chaplin. Er ist einfach ein Mitläufer, der die Kollekte stehenläßt, um seinen Peiniger zu verprügeln. Aber auch diese Bekehrung war wohl keine richtige – und das macht den Film so hintergründig.
Die kleine Komödie, die ebenso schlicht wie effektvoll die Zeitgeschichte auf den Punkt bringt, hat Kutz zwar ausschließlich für das Fernsehen gedreht (sie wird nie in die polnischen Kinos kommen), hat aber trotzdem den Großen Preis des Polnischen Spielfilmfestivals in Gdynia gewonnen. Thomas Winkler
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