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Die kleine Große

Die Commerzbank wird 125 Jahre alt / Champagner nur für Kunden, die neue Kunden werben  ■ Von Hermannus Pfeiffer

Ende Mai 1933 trafen sich die Vertreter der großdeutschen Großbanken in der Reichshauptstadt Berlin. Ein „finanzkräftiger Fonds für politische Zwecke“ sollte geschaffen werden. Das Konsortium beauftragte den späteren Aufsichtsratsvorsitzenden der Commerzbank, Friedrich Reinhart, den Führer-Stellvertreter Rudolf Heß zu „konsultieren“, ob das Vorhaben Adolf Hitlers persönliche Billigung finde. Wenige Tage später wurden sämtliche unternehmerischen Zuwendungen an die NSDAP in der „Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft“ zusammengefaßt. Diese Episode, nach Ende des Zweiten Weltkrieges in einem Untersuchungsbericht der US-amerikanischen Militärregierung festgehalten, fehlt vermutlich in der 356 Seiten starken Jubiläumsschrift der Commerzbank AG (CB), die heute in Frankfurt am Main der Öffentlichkeit vorgestellt wird. Die Großbank wird 125 Jahre alt.

Im Gründerkomitee saßen am 26. Februar 1870 in Hamburg reiche Kaufleute und gewichtige Privatbankiers aus der Hansestadt, aus Berlin, Frankfurt und New York – darunter auch das später berühmte Bankhaus Warburg. Neue Finanzmittel für die Handelsgeschäfte des Norddeutschen Bundes und den gesamten deutschen Wirtschaftsraum sollten beschafft werden. Der moderne Kapitalismus verlangte nach kapitalkräftigen Kreditinstituten. In den zwanziger Jahren übernahm die Großbank rund 50 Regionalbanken und Privatbankhäuser. 25.000 Menschen arbeiteten nun hinter Commerz-Tresen. Aber trotz der Konzentration von Kapital, Menschen und Macht wurde die Bankenkrise 1931 „nicht zuletzt durch staatliches Eingreifen überwunden“, verrät die CB-Presseabteilung vorab. Reich und Reichsbank beteiligten sich mit 70 Prozent am Kapital des nun selber auf Kredit angewiesenen Kreditinstituts.

Die Privatisierung der Commerzbank leitete Mitte der dreißiger Jahre der junge Hermann Josef Abs. Bei dieser Gelegenheit soll die Deutsche Bank das Talent ihres späteren, legendären Vorsitzenden entdeckt haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die deutschen Großbanken strafweise in Regionalbanken zerlegt, die Commerzbank allein in neun. Die US-Militärbehörden hatten bereits seit Anfang 1943 Akten und Dossiers über die staatstragenden Aktivitäten deutscher Industrieller und Finanziers angelegt. Im Osten wurden sie enteignet, doch im Westen brachte schon das Restaurationsjahr 1958 das Comeback einer wiedervereinten Commerzbank AG. Im Wirtschaftswunderland entdeckte die Hochfinanz alsbald den kleinen privaten Kunden, bis dahin die Domäne von Sparkassen und kleineren Regionalbanken. Wer wollte, bekam nun auch hier sein kostenloses Girokonto oder einen Konsumkredit für den Kauf eines Plüschsofas oder eines Goggomobils.

Heute werden die drei Millionen CB-Kunden mit Champagner und Kaviar belohnt. Voraussetzung ist allerdings, daß ein neuer Kunde geworben wird, der für mindestens 20.000 Mark „Comegafonds“ kauft. Mit dieser Aktion – „Kunden werben Kunden“ – erobert die Commerzbank Marketing-Neuland. Über die seit letzten Sommer auch in Deutschland zugelassenen Geldmarktfonds flossen ihr bisher über zehn Milliarden Mark zu. Trotzdem sanken die CB-Erträge bis Oktober 1994 gegenüber dem Vorjahr um gut ein Viertel.

International muß sich der Finanzkonzern weiterhin mit einer „bilateralen Kooperation“ in Spanien und einem „Verbundnetz“ im Zahlungsverkehr mit der britischen National Westminster und der französischen Société Générale begnügen. Im Allfinanz-Sektor hält man Beteiligungen an der Leonberger Bausparkasse, an der ehemaligen Beamten-Versicherung DBV und arbeitet mit der schweizerischen Winterthur zusammen. „Wir haben das Allfinanz-Konzept erfunden“, behauptet CB-Chef Martin Kohlhaussen leicht verbittert. „Wir haben von Beginn an auf Beteiligungen und nicht auf Gründung eigener Gesellschaften gesetzt“ – wie etwa die erfolgreichere Deutsche Bank.

Anfang der achtziger Jahre gingen Zentralismus, irrige Spekulationen und schiefe Devisengeschäfte an die CB-Substanz. Aber unter dem robusten Sanierer Walter Seipp, ein früherer Deutsch- Banker, verdreifachte sich die Bilanz bis heute auf fast 300 Milliarden Mark. Für steuersensible Kunden entdeckte Seipp als erster die Oase Gibraltar, und in Japan wuchs die CB zur ertragreichsten Auslandsbank heran. Aber zugleich ächzte es immer wieder im Gebälk. Als kleine Große mußte die Commerzbank international häufig auf zweitklassige Risiken setzen. Pleiten blieben nicht aus. So zahlten Seipp und seine Aktionäre unter anderem teures Lehrgeld für den Konkurs der dänischen Finanzgruppe Hafnia. Das Schulgeld betrug über 300 Millionen Mark.

Mittlerweile hat die Westdeutsche Landesbank und auch die Konkurrenz aus Bayern die Großbank überholt. Ihrem angekratzten Ruf begegnet die Commerzbank mit Telefon-Banking, einem Wertpapier-Discounter und einer Strukturreform, die fast 1.000 Arbeitsplätze gekostet hat. Ergänzend schickte CB-Chef Kohlhaussen seinen Filialleitern einen persönlichen Brief: „Wir müssen leider feststellen, daß wir Kunden verloren haben. Lassen Sie uns gemeinsam eine Freundlichkeits-Offensive gegenüber unseren Kunden starten.“

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