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Am Sonntag wählen die Hessen – wenn sie den Termin nicht verschlafen, denn aufwühlend waren die politischen Duelle nicht gerade. Dabei fallen wichtige Entscheidungen, etwa über die Zukunft der FDP Aus Frankfurt Klaus-Peter Klingelschmitt

Der Wahlkampf der nassen Nudeln

Der Wahlkampf in Hessen schleppt sich in seine Endphase. Tristesse herrscht heute, wo sich noch Ende der achtziger Jahre politische Saurier wie Holger Börner (SPD) und Walter Wallmann (CDU) im Kampf um den Hessenlöwen im Wappen erbitterte Schlachten lieferten, und ein Mann wie Joschka Fischer (Bündnisgrüne) zum Amüsement der WählerInnen rhetorische Feuerwerke abbrannte. Zwei „farblose Spitzenkandidaten im Kampf um die Macht in Hessen“, titelte eine in Offenbach erscheinende Tageszeitung in der vergangenen Woche. Und dieser provokativen Feststellung wollte in Wiesbaden keine PolitikerIn widersprechen.

Dabei mangelt es in diesem Wahlkampf nicht an polemisch zugespitzten Antagonismen: Für CDU und FDP droht Hessen im Falle einer Fortschreibung der rot- grünen Koalition die flächendeckende Kriminalisierung der Gesellschaft und der wirtschaftliche Niedergang. Für SPD und Bündnisgrüne ist der Spitzenkandidat der CDU, Bundesinnenminister Manfred Kanther, der fleischgewordene Rechtskonservativismus, ein unkritischer Atom- und Betonfetischist, der das ökologisch umgebaute Hessenland im Falle eines Wahlsieges von Union und FDP zurück in die politische Steinzeit bomben würde.

Eichel kontra Kanther heißt der personifizierte Antagonismus. Dem braven Ministerpräsidenten Hans Eichel von der SPD sagen selbst Parteifreunde „das Charisma eines scheintoten Hamsters“, einer „nassen Nudel“ oder auch einer „Büroklammer“ nach. Bei öffentlichen Veranstaltungen rede er „an den Herzen der Menschen vorbei“. Aber Eichel hat inzwischen aus seiner Not eine Tugend gemacht: Ein Ministerpräsident, so Eichel, müsse kein Entertainer sein, sondern ein ehrlicher Makler im Dienst der Wohlfahrt des Landes. Ein Wahlplakat der SPD unterstützt seinen Abwehrkampf gegen die Kritiker auch aus den eigenen Reihen: „Erfolg braucht keine Show.“

Doch einen Koalitionspartner.

Als Eichel über TV in aller Offenheit erklärte, daß prognostizierte Stimmenverluste für die SPD von den netten Bündnisgrünen schon wieder aufgefangen würden, gefror den Parteistrategen in der Baracke und in Wiesbaden wieder einmal das Blut in den Adern.

Zum Glück für Eichel hat auch sein Herausforderer Manfred Kanther (CDU) – der als amtierender Bundesinnenminister die Rückfahrkarte nach Bonn schon in der Tasche hat, falls es in Hessen mit dem angestrebten „Machtwechsel“ doch nicht klappen sollte – als „Fähnleinführer der Stahlhelmfraktion der Union“ (Joschka Fischer) ein Imageproblem. Christlich bewegte Christdemokraten reiben sich an den militärisch knapp gehaltenen, dahingebellten Sätzen von Kanther. Und auch mit der Konzentration auf nur drei Themenbereiche – Kriminalität, Arbeitslosigkeit und Schulpolitik – werde Kanther, so dessen Kritiker, den komplexeren politischen Verhältnissen in Hessen nicht gerecht.

Daß Kanther den erzkonservativen Vorsitzenden des Lehrerverbandes, Josef Kraus (CSU), in sein „Schattenkabinett“ holte, fand gleichfalls nicht den Beifall aller Unionisten. Kanther legte damit nicht nur demonstrativ offen, daß die hessische Union offenbar über keinen geeigneten eigenen Kandidaten für das Amt des hessischen Kultusministers verfügt. Seit der Präsentation von „Abiturientenquoten- und Gesamtschulkiller Josef Kraus“ (SPD) gilt Kanther als heimlicher „Wahlkampfhelfer“ von Kultusminister Hartmut Holzapfel (SPD).

Denn nachdem sich die LehrerInnen des Landes schon auf Holzapfel eingeschossen hatten, weil der ihre Stundentafel erweitern wollte, macht die GEW in Hessen nun Front gegen das „gößere Übel“ Josef Kraus. Der glaubt heute offenbar selbst nicht mehr daran, unter einem Ministerpräsidenten Kanther hessischer Kultusminister werden zu können. Kraus hat in diesen Tagen bestätigt, daß er gewillt ist, am 20. Februar – am Tag nach der Hessenwahl – eine Lehrerstelle im bayerischen Vilsburg anzunehmen.

Die professionellen Auguren stützen die Entscheidung von Kraus. Nach den Ergebnissen zweier Umfragen von Ende Januar bleibt die CDU nämlich Oppositionspartei. Und ob die FDP neben der Union wird Platz nehmen dürfen, ist eine der wenigen spannenden Fragen bei dieser Landtagswahl.

Die Hessenwahl wird eine Zitterwahl für die FDP werden, denn nach der Umfrage von Allensbach ist die FDP drin (7,5 Prozent) – nach der von IPOS draußen (3,9 Prozent). Sollte es die FDP in Hessen tatsächlich nicht schaffen, braucht die Partei in NRW und in Bremen erst gar nicht mehr anzutreten. In Hessen entscheidet sich das Schicksal der Freien Demokraten (siehe morgige Hintergrund- Seite). Und vielleicht auch das Schicksal der CDU/CSU/FDP- Koalition in Bonn.

In der Nochbundeshauptstadt wird denn auch am Hessenwahlabend mehr gezittert werden als in Wiesbaden. Die vom Institut Basicresearch im Auftrag von Focus ermittelten und am vergangenen Wochenende veröffentlichten 7 Prozent für die FDP lassen die blau-gelben WahlkämpferInnen um die dem linksliberalen Flügel der Partei zugeordente Spitzenkandidatin Ruth Wagner wieder hoffen.

In allen drei Umfragen haben SPD und Bündnisgrüne allerdings die Nase vorne. Sollten die Meinungsforscher richtig liegen, wäre Hessen das erste Bundesland, in dem eine rot-grüne Koalition nach einer kompletten Legislaturperiode von den WählerInnen erneut bestätigt wird.

Daß die Meinungsforscher die Bündnisgrünen mit einem Wahlergebnis zwischen 10 und 16 Prozent handeln, schmeckt den SpitzenkandidatInnen Iris Blaul (Sozialministerin) und Rupert von Plottnitz (Umweltminister) überhaupt nicht. Das habe sich demobilisierend auf die Basis ausgewirkt, sagte Umweltminister von Plottnitz auf einer Wahlkampfveranstaltung in Südhessen: „Wir müssen bis zum letzen Tag um jede Stimme kämpfen.“ Die Bündnisgrünen wissen aus leidvoller Erfahrung, was Umfrageergebnisse wert sind. So wurde ihnen etwa in Thüringen 1994 ein Landtagswahlergebnis von 10 Prozent und mehr prognostiziert. Bei der Wahl scheiterte der Schwesterverband der hessischen Grünen dann an der Fünfprozenthürde. „Zehn Prozent plus x“ heißt die Parole.

Und weil für den Koalitionspartner SPD leichte Stimmenverluste erwartet werden, würde das Gewicht der Bündnisgrünen innerhalb der rot-grünen Regierungskoalition steigen. Bei den kommenden Koalitionsverhandlungen werde sich das auswirken, prophezeite etwa der Fraktionsvorsitzende der Bündnisgrünen im Landtag, Fritz Hertle (siehe Interview).

Doch noch ist das Fell des Bären nicht zerteilt. Der Umstand, daß aufgrund des Unfalltodes einer Kandidatin der „Republikaner“ (REP) im hessischen Wahlkreis Bergstraße die Wahl um 14 Tage verschoben werden muß, hat die Parteien in Wiesbaden elektrisiert. Für den Fall, daß es entgegen der Prognosen ein Kopf-an-Kopf- Rennen zwischen den beiden politischen Lagern geben sollte, entscheiden die Wahlberechtigten von 14 Gemeinden im Kreis Bergstraße die Hessenwahl. Das gilt auch für den Fall, daß die FDP am 19. Februar knapp unter der Fünfprozenthürde liegen sollte. Dann, so die Befürchtungen von SPD und Bündnisgrünen, könnten Leihstimmen der CDU-Wähler der FDP doch noch zu Landtagsmandaten verhelfen. Also doch noch Spannung im Hessenwahlkampf? An der Bergstraße, an der Anfang März schon oft die Mandelbäume blühten, werden dann noch Blütenträume wahr. Vielleicht sogar die von Ruth Wagner und Klaus Kinkel.

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