: Bei der nächsten Wiedervereinigung wird alles besser
■ Die Bonner Opposition wirft der Bundesregierung Verantwortung für Verschwendung in den neuen Ländern vor / Warnung vor Ressentiments zwischen Deutschland-Ost und Deutschland-West
Bonn (taz) – Die Bundesregierung hat für menschliche Schwächen offenbar weit mehr Verständnis, als man bislang annehmen durfte. Zumindest Wirtschaftsminister Günter Rexrodt (FDP) begegnet Fehlverhalten mit stoischem Gleichmut, wie sich gestern in der Bundestagsdebatte um die Verschwendung von Fördermilliarden in den neuen Ländern herausstellte. „Wo es Subventionen gibt, gibt es leider auch Subventionsmißbrauch“, konstatierte der liberale Politiker ohne erkennbare Empörung. Die Gelassenheit des Ministers gegenüber dem Zugriff auf Steuergelder brachte Werner Schulz (Bündnis 90/ Die Grünen) so sehr in Rage, daß er Rexrodt vorwarf, er verhalte sich, als sei er „der Peanuts-Beauftrage der Deutschen Bank und nicht der deutsche Wirtschaftsminister“.
Rexrodt versicherte allerdings in seiner Regierungserklärung auch, den Vorwürfen wegen Mißbrauch und Fehlverwendung von Steuergeldern werde konsequent nachgegangen, die einzelnen Förderinstrumente würden von der Regierung überprüft. Der Minister versprach, dem Haushaltsausschuß im kommenden Monat einen „vollständigen Bericht“ über Fehlverwendung und Vorkehrungen gegen Mißbrauch zu erstatten.
Die vom Spiegel errechnete Summe von 65 Milliarden, die seit Tagen die Debatte bestimmt, sei weit überzogen, versicherte Rexrodt. Fast genüßlich listete der Minister einzelne Fehler in der Darstellung des Magazins auf, dem er „unverantwortliche Übertreibungen“ vorwarf. Der überwiegende Teil der Fördermittel für den Osten sei vernünftig verwendet worden. Zudem hätten sich alle Parteien im November 1992 im Haushaltsausschuß damit abgefunden, daß eine im Aufbau befindliche Verwaltung im Osten nicht so effizient arbeiten könne wie ein funktionierender Apparat. Abgesehen von „einzelnen Korrekturen“ werde die Regierung deshalb an ihrem Kurs festhalten.
Die Oppositionsstrategie gegenüber einer Regierung, die nur das Ausmaß, aber nicht die Tatsache der Vergeudung bestritt, war gestern eindeutig: Sie zielte darauf, die Verantwortung der Regierung Kohl für die Verschwendung durch schwerwiegende und absehbare Fehler im Einigungsprozeß herauszuarbeiten.
Dem CSU-Finanzminister Theo Waigel warf Otto Schily (SPD) vor, er sei „persönlich für das Debakel verantwortlich“, weil er sich um eine effiziente Ausgabenkontrolle nie gekümmert habe. Theo Waigel habe „mit einer Sorglosigkeit sondergleichen der Verschwendung von Steuergeldern Vorschub geleistet“. Fehlentscheidungen hätten verhindert werden können, wenn die Menschen im Osten als „Subjekte“ in wirtschaftliche Entscheidungen eingebunden worden wären, statt nur als „Objekte“ des Einigungsprozesses behandelt zu werden.
Zu den Fehlern der Regierung, die heute mit Steuergeldern bezahlt werden müssen, gehören nach Überzeugung der Opposition die Möglichkeit 50prozentiger Sonderabschreibungen für Investitionen im Osten, „das pauschale Überstülpen des bundesdeutschen Rechts- und Verwaltungssystems auf die neuen Länder“ (so Rolf Schwanitz, SPD) und das falsche Versprechen Helmut Kohls, die Einheit werde ohne finanzielle Lasten zu bewerkstelligen sein. Kritik der Opposition zog auch die Durchsetzung des Prinzips „Rückgabe vor Entschädigung“ auf sich. Weil langwierige Rechtsstreitigkeiten Investitionen in den Innenstädten blockiert hätten, seien Investoren in den neuen Ländern zum risikoreichen und weit kostspieligeren Neubau vielfach auf der grünen Wiese gedrängt worden.
Auch die sozialpsychologische Komponente spielte in der Debatte eine Rolle, wobei Redner aus Regierung und Opposition darauf hinwiesen, daß die Tatsache des Mißbrauchs von Steuergeldern kein Sonderproblem der neuen Länder darstelle. Redner beider Lager wandten sich auch gegen das Schüren von Ressentiments, sprachen von einer „Neidkampagne“ (Werner Schulz) und warnten, wie der thüringische Ministerpräsident Bernhard Vogel (CDU), vor dem Aufreißen neuer Gräben zwischen Ost und West.
Die Opposition ließ sich allerdings nicht die Gelegenheit entgehen, an Äußerungen des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) zu erinnern, der mit Überlegungen zum Einfrieren der Gelder als erster Stimmung gegen die neuen Länder gemacht habe.
Otto Schily blieb es vorbehalten, eine zur Jahreszeit passende Erklärung dafür zu präsentieren, warum die Debatte der vergangenen Tage so viele Emotionen weckte. Sein Vorwurf an die Regierung: „Wenn der Eindruck entsteht, daß gerade bei den unteren und mittleren Einkommen rücksichtslos Steuern und Abgaben bis aufs Blut herausgepreßt werden, aber auf der anderen Seite Milliardenbeträge wie Kamellen im Karneval unter die Leute gestreut werden, dann ist der soziale Frieden massiv gefährdet.“ Aber auch Bernhard Vogel (CDU) rang sich zu einer starken Formulierung durch: „Wir versprechen, bei der nächsten Wiedervereinigung machen wir das alles viel besser.“
Hans Monath Seite 5, Kommentar Seite 10
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