piwik no script img

Quoten statt Theater

ARD und ZDF schieben Theateraufzeichnungen ab  ■ Von Gerhard Preußer

Ende einer Mediensymbiose. Das junge Medium braucht das alte nicht mehr. Fernsehen kommt ohne Theater aus. Das ZDF stellt „Die aktuelle Inszenierung“ ein und streicht damit die letzte Sendereihe mit Theateraufzeichnungen in den öffentlich-rechtlichen Hauptprogrammen. Dabei hatte alles so schön angefangen: Mit Goethes „Vorspiel auf dem Theater“ hatten sowohl ARD als auch ZDF einst ihren Sendebetrieb aufgenommen. Nun sind Erstes und Zweites Fernsehprogramm theaterfrei.

Der Deutsche Bühnenverein, ein fast hundertjähriger Traditionsverein, dem erst langsam dämmert, daß er nicht nur Tarifvertragspartner, sondern auch Lobbyorganisation sein muß, nahm dies mit einem halben Jahr Verspätung zum Anlaß, ein Symposion zu veranstalten, um zu retten, falls noch etwas zu retten sei. Den Vorwurf, nun sei das Theater ganz in die Dritten Programme, zu 3sat und arte abgeschoben, konterten die stellvertretenden Programmdirektoren von NDR und ZDF mit dem Hinweis auf die „entwickelte Fernsehkultur“, in der alle Kanäle gleiche Zugangschancen hätten.

So zynisch dieses Argument angesichts der tatsächlichen Zugangsmöglichkeiten zu 3sat und arte ist, so trifft es doch den Kern. Eine partikularisierte Gesellschaft schafft sich ein zersplittertes Fernsehsystem, in dem die Öffentlichkeitsfunktion, die das Fernsehen für einige Jahrzehnte hatte, verlorengeht. Die Theaterinteressierten werden darin behandelt wie die Hundezüchter: taxiert nach ihrer Kaufkraft. Das Argument zeigt aber auch, wie vergeblich die Anstrengungen der Theatermacher sind, die Bedeutung ihres Metiers durch die Verankerung im Fernsehprogramm zu beweisen. Die Zeiten, in denen das Fernsehen als Leitmedium definierte, was wichtig war, sind vorbei. Im Fernsehen ist nichts mehr wichtig – außer der Einschaltquote.

Das hämische Versprechen der Programmverantwortlichen, man werde das Theater im Fernsehen schon wieder berücksichtigen, wenn es in der Gesellschaft wieder eine Rolle spiele, ist leer, weil dieselben Kräfte, die das Theater um einen großen Teil seiner gesellschaftlichen Wirkung gebracht haben, heute das öffentlich-rechtliche Fernsehen aus seiner zentralen Rolle verdrängen. Allenfalls ein gemeinsames Vorgehen der beiden Institutionen könnte diesen Prozeß wenigstens verlangsamen oder modifizieren.

Die Verdrängung der Theateraufzeichnungen aus den Hauptprogrammen ist ein weiteres Beispiel für die voreilige Anpassung der Öffentlich-Rechtlichen an die Privaten. Die Vertreterin von Sat.1 bestätigte denn auch unumwunden, was die Vertreter der öffentlich-rechtlichen Anstalten verbrämten: Theater im Fernsehen sei Quotenkiller. Der Satz „Veränderungen auf dem Markt, im Geld, führen auch zu Veränderungen im Programm“ stammt allerdings vom Kulturchef des NDR. Dagegen den in den Rundfunkgesetzen verankerten Bildungsauftrag des Fernsehens anzuführen, wie dies Volker Canaris, der Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses, tat, ist wirkungslos. Der Gesetzestext ist heute nur Alibi, die Praxis ist, wie alle Redakteure bestätigten, marktorientiert.

Ohne ein Etwas, das staatliche und öffentliche Institutionen unabhängig von der Nachfrage vermitteln sollen, nenne man es nun Bilder oder Kultur oder Emanzipation oder Gemeinsinn, läßt sich eine Theateraufzeichnung im Fernsehen ebensowenig rechtfertigen wie die öffentliche Finanzierung von Theater überhaupt. Die Auffassung, daß es dieses Etwas geben müsse, und erst recht die Debatte darüber, was das denn sein könne, verschwinden jedoch zunehmend aus unserer Gesellschaft.

Die auf dem Kölner Symposion heftig geführte ästhetische Debatte über Theateraufzeichnungen im Fernsehen, ob sie nun bloß redliche Dokumentation seien oder sich eigener fernsehästhetischer Mittel bedienen sollen, scheint angesichts des Verschwindens der Gattung überflüssig. Und doch ist die ästhetische Frage mit der Existenzfrage verknüpft. Die Thatersendungen der ZDF-Reihe „Die aktuelle Inszenierung“ versuchten sich den Wirkungsmechanismen des Fernsehens und der Ästhetik des allgemeinen Programms anzupassen, und sie waren teuer. Die Fernsehfassung von Leander Haußmanns Münchner „Romeo und Julia“-Inszenierung in der Regie von Rainer Ecke wurde mehrfach als Beispiel dafür angeführt: Sie war weit entfernt vom Theateroriginal, auf filmische Wirkung angelegt, kostete etwa eine Million und erreichte dennoch nicht genügend ZuschauerInnen.

Auch Anleihen bei der Ästhetik des Videoclips machen eine Theateraufzeichnung nicht zappfest. „Bei dem gegenwärtigen verrotteten Zustand des Fernsehens bleibt das Theater darin immer widerständig“, sagt Intendant Canaris. Angesichts der Existenzbedrohung votierten natürlich alle – Fernsehleute, Theatermacher, Medienwissenschaftler – für die billige, schlichte Dokumentation. Von einer Dokumentationspflicht zu reden, die das Fernsehen gegenüber dem Theater habe, weil dieses durch die Ausbildung der Schauspieler Vorleistungen für das Fernsehen erbringe, ist ehrenwert, aber folgenlos. Denn die Mehrheit derjenigen, die die Schauspielschulen belagern, wollen sowieso am liebsten direkt zu Film oder Fernsehen.

Realistischer waren da die Vorschläge des WDR-Theaterredakteurs Martin Wiebel. Der Deutsche Bühnenverein solle eine Wirtschaftlichkeitsstudie für einen eigenen Spartenkanal „Theater“ anfertigen lassen. In eine ähnliche Richtung ging der Vorschlag, einen Rechtepool für die Verwertung der Aufzeichnungen, die jetzt noch von einzelnen Anstalten gemacht werden, einzurichten. Schließlich mahnte der Siegener Medienhistoriker Helmut Schanze an, die Theater sollten doch ihre eigene Produktionskompetenz nutzen und sendefähige Aufzeichnungen selbst herstellen.

Fazit: Wer ins Fernsehen will, gründe seinen eigenen Kanal und bringe eine bespielte Videokassette mit. Oder, wie ein Schauspieler, der schon Böll an der Elfenbeinküste gespielt hat, zum Abschluß der Veranstaltung erklärte: Auch im Freien, mit einer 25-Watt- Birne, kann man Theater machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen