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Heiße Fracht ist Geheimsache

Mit allen Mitteln werden Umweltaktivisten eingeschüchtert, die Atommülltransport per Schiff von Frankreich nach Japan verhindern wollen  ■ Aus Paris Dorothea Hahn

Hochradioaktiv, 14 Tonnen schwer und in 28 Glasblocks eingeschweißt ist die Fracht, die in den nächsten Tagen im nordfranzösischen Hafen Cherbourg eingeschifft werden soll. So viel steht fest. Doch welches Schiff den Atommülltransport machen, wann die Reise exakt losgehen und welche Route der Kahn nehmen wird – das ist Geheimsache. Die französische Atomgesellschaft Cogema (Compagnie génerale des matières nucléaires) und ihre britischen Partner BNFL (British Nuclear Fuels Ltd) und PNTL (Pacific Nuclear Transport Ltd), die den Transport organisieren, haben nach eigenen Angaben Angst vor Terroranschlägen. Viel mehr als die Terroristen scheinen die Atomgesellschaften jedoch Greenpeace zu fürchten. Per Gericht wollen sie deren Mitgliedern untersagen, den Nukleartransport auf hoher See zu behindern. Jede Zuwiderhandlung soll mit einer Million Francs (ca. 300.000 Mark) bestraft werden.

Ziel des Transports ist Japan, mit dem Frankreich und Großbritannien vor zwei Jahrzehnten einen Vertrag über die Wiederaufbereitung und Rücklieferung von Atommüll abgeschlossen haben. Japan liefert Abfälle aus seinen AKWs in die Wiederaufbereitungsanlagen im französischen La Hague und im britischen Sellafield und verpflichtet sich, die dabei freiwerdenden Plutoniumbestandteile anschließend zurückzunehmen. Eine erste Lieferung waffenfähigen Plutoniums ging bereits vor drei Jahren mit der „Akatsuki Maru“ nach Japan. Wochenlang versetzte die schwimmende Bombe die Länder, an deren Küsten sie vorbeifuhr, in Aufruhr.

Insgesamt 3.000 Container sollen bis zum Jahr 2010 auf dem Seeweg nach Japan gebracht werden. Allein die Strahlung des jetzt anstehenden Transports beträgt 13 Millionen Curie – die freigesetzt würden, wenn die Sicherheitshüllen der Container versagten. Eine Strahlenmenge, die schon nach weniger als einer Minute tödlich ist.

Greenpeace will versuchen, den Atommülltransport zu verfolgen. Das Unternehmen bringe „Dutzende von Ländern und Millionen von Menschen in Gefahr“, erklärte Jean-Luc Thierry bei einer Pressekonferenz in Paris. Bei einer Kollision auf hoher See, so der Greenpeace-Sprecher, könnte das Schiff in Brand geraten, und die Sicherheitshüllen um den Atommüll könnten zerstört werde. Die Folgen einer Verseuchung für das Leben im Meer und die betroffenen Anrainerländer seien unabsehbar. Völlig offen ist auch, wer in einem solchen Fall verantwortlich zu machen wäre, denn es gibt bislang keine internationalen Regelungen für atomare Unfälle auf See.

Einen Umweltverträglichkeitstest vor dem heiklen Transport, wie zahlreiche Umweltorganisationen, aber auch viele Anrainerländer ihn gefordert hatten, lehnten die Atomgesellschaften ab. Sie hielten es auch nicht für nötig, die Länder an der ursprünglich geplanten Reiseroute durch die Karibik – und eventuell den Panamakanal – zu informieren. Begründung: das Schiff fahre nicht durch staatliche Hoheitsgewässer.

Die erste Schlacht beginnt vor Gericht in Cherbourg

Die Proteste aus zahlreichen Ländern der Region ließen nicht auf sich warten. Bereits 1992 hatten die Staaten der karibischen Gemeinschaft (Caricom) aus Anlaß des ersten Plutoniumtransports bei der UNO beantragt, zur denuklearisierten Zone erklärt zu werden. Seit Wochen schreiben Regierungschefs und Umweltorganisationen der Region wieder verzweifelte Briefe an die japanische Regierung. Schriftlich weisen die Karibik-Länder darauf hin, daß sie vom Fischfang oder vom Tourismus leben, daß sie selber keinen Atomstrom benutzen und daß sie zu dem Transport weder befragt noch informiert worden seien.

Kaum hatten die Atomgesellschaften begonnen, alternative Reiserouten zu suchen – entlang der westafrikanischen Küste, rund um Südamerika oder durch den Suez-Kanal –, kamen von den Philippinen, aus Äthiopien und anderen afrikanischen Ländern Proteste und Hilfegesuche an die ehemaligen Kolonialmächte. Greenpeace spricht bei dem geplanten Atommülltransport von „Nuklearimperialismus“. Vor Jahren, als ein Rücktransport per Flugzeug nach Japan in der Diskussion gewesen sei, hätten die USA und Kanada jede Überflugerlaubnis verweigert. Heute, so Jean-Luc Thierry, versuchten die Atomgesellschaften, das Transportrisiko den Ländern des Südens aufzubürden.

Die erste Schlacht gegen den Transport beginnt am Montag vor einem Gericht in Cherbourg – möglicherweise gleichzeitig mit der Abfertigung der strahlenden Fracht. Die beiden britischen Atomgesellschaften BNFL und PNTL haben beantragt, daß den Gegnern der Atomtransporte untersagt wird, sich dem Hafen von Cherbourg zu nähern. Weiter soll ihnen verboten werden, Ein- und Ausfahrt des Hafens zu blockieren. Und wenn sie ein Schiff der PNTL verfolgen wollen, sollen sie das nur in einem Abstand von fünf Seemeilen tun dürfen. Greenpeace läßt sich durch die Klage nicht einschüchtern. „Das ist ein Angriff auf die Meinungsfreiheit“, sagt der Anwalt der Organisation. Unterdessen laufen die Vorbereitungen für den Tranport auf Hochtouren – auf beiden Seiten.

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