: Bauarbeiter als Bombensucher
■ Gerold Janssen stellt Strafanzeige gegen Bauarbeiten auf Uni-Ost-Gelände gleichzeitig gebaggert und nach Bomben gesucht /
Neue Wendung im Bombenskandal auf dem Uni-Ost-Gelände (taz, 18.2.): Gleichzeitig und nebeneinander arbeiteten dort gestern eine Baufirma und ein Bombenräumtrupp. Die einen baggerten, damit die Siemens-Ansiedelung vorankommt, die anderen suchten nach Bomben – auf ein und demselben Gelände. Das heißt: Erst jetzt wird auf Uni Ost nach Bomben gesucht, obwohl das Gelände schon am 23. Januar gerodet und planiert worden ist, und zwar mit großen Maschinen, und obwohl gleichzeitig am tiefen Aushub für die Siemens-Bauten gearbeitet wird.
Gestern nachmittag stellte der Bürgerinitiativen-Aktivist Gerold Janssen deshalb Strafanzeige wegen Gefährdung der allgemeinen Sicherheit. „Eine unglaubliche Geschichte“, findet Janssen, schließlich hätten die Bremer Entschärfer vor nicht allzu langer Zeit nur ein paar hundert Meter weiter eine große Phosphorbombe entdeckt.
Der Vergabeausschuß der Baudeputation hatte am vergangenen Donnerstag einen 200.000-Mark Auftrag zur Bombenräumung auf dem Uni-Ost-Gelände vergeben, der schon einmal vor zwei Jahren vergeben worden war. Damals hatte die „Bremer Kampfmittel-Beseitigungs-GmbH“ den Zuschlag erhalten, die im April letzten Jahres im Korruptionsstrudel des obersten Bremer Bombensuchers Harry Warrelmann untergegangen ist. Das Geld sei damals geflossen, hieß es am Freitag aus dem Bauressort. Doch ob der Auftrag damals ausgeführt worden sei, so der zuständige Beamte aus dem Amt für Straßen- und Brückenbau, sei höchst zweifelhaft. Trotz intensiver Bemühungen sei kein Räumprotokoll gefunden worden.
Ob in dem neuen Bombensuch-Auftrag aber tatsächlich das künftige Siemens-Gelände gemeint ist, daran sind gestern Zweifel gekommen. Der Auftrag bezog sich auf den Abschnitt „D“. Wenn sich dieser Buchstabe auf den Bebauungsplan bezieht, dann ist das ein Gebiet am Bremer Innovations- und Technologiezentrum BITZ gemeint, weit weg vom Siemens-Gelände. Das hat im Bebauungsplan den Buchstaben „C“. Für die taz-Version vom Samstag, daß es doch um das Siemens-Gelände gegangen ist, spricht allerdings die Diskussion im Vergabeausschuß der Baudeputation. Ein Mitglied: „Jeder ist davon ausgegangen, daß Siemens gemeint war. Wir haben sogar noch Witze darüber gemacht.“ Und die Uni-Ost-Aktivisten schwören Stein und Bein, daß im Frühjahr –94 ein Räumtrupp auf dem Siemens-Gelände gewesen ist.
Welches Gelände auch gemeint war, es bleibt Skandal Nummer eins: Die Stadt hat offensichtlich 200.000 Mark bezahlt, ohne daß sie nachgeprüft hat, ob der Auftrag wirklich ausgeführt worden ist. Und daran waren sowohl das Polizeipräsidium als auch das Wirtschaftsresssort beteiligt. Denn das Haus Jäger war es, das den Auftrag vor zwei Jahren im Namen der Polizei vergeben hatte.
Doch selbst wenn sich herausstellen sollte, daß sich der 200.000-Mark-Auftrag nicht auf das Siemens-Gelände bezogen hat, dann spielt sich dort zur Zeit ein baupolitischer Skandal ab, und zwar ein lebensgefährlicher. Gestern waren nämlich zwei ganz verschiedene Firmen am Werk. Die eine baggerte fleißig mit großen Maschinen, während die andere mit einem kleinen Baggerchen nach Blindgängern suchte. „Die gehören nicht zu uns“, meinte einer der Bauarbeiter, „das ist der Räumtrupp.“ Ob er denn keine Angst habe, daß er und seine Leute eher finden, was die Entschärfer suchen? – „Nö, alles halb so schlimm.“
Am 16. Januar hatte das Umweltressort einen „Bescheid über die Zulassung des vorzeitigen Baubeginns“ zugestellt und damit die rechtlichen Grundlagen geschaffen, daß jederzeit die Bagger anrollen konnten. Die kamen am 23. Januar. Es hatte pressiert – Bomben hin, Bomben her. Bis zum Beginn der Vegetationsperiode im März sollten alle Rodungen und Aufschüttungen vollendet sein. Obwohl im Dezember die Polizei gewarnt hatte und obwohl sich mit den Räumungsarbeiten gestern bestätigte, daß das Gebiet nach Kenntnis der Verantwortlichen noch nicht bombenfrei sein konnte, rollten am 23. Januar die Bagger über Uni Ost, und zwar nicht nur, um die Grasnabe umzubrechen. „Die haben richtig das Gelände eingeebnet“, empört sich Janssen noch heute. Mutterboden wurde zusammengeschoben, und – angesichts der Warnungen der Polizei besonders unverständlich – „die haben richtig tief gegraben“. Die großen Bäume, so Janssen, seien nicht nur gefällt worden, die Westersteder Baufirma habe ganze Arbeit geleistet. „Die haben die Wurzeln ausgegraben.“ Löcher von eineinhalb bis zwei Metern Tiefe – gute Chancen also für die Bauarbeiter, auch schon während der Arbeiten im Januar auf einen Blindgänger zu treffen.
Eine unklare doppelte Auftragsvergabe, eine Warnung im Dezember, Baggerarbeiten im Januar, gleichzeitige Arbeiten von Räumtrupp und Baufirmen im Februar – das ist der Stand der Dinge. Wie hatte ASB-Chef Horst Bullermann noch am vergangenen Freitag gesagt, als er die doppelte Vergabe des Auftrages erklären sollte? Nach der Meldung der Polizei im Dezember habe er handeln müssen: „Bevor da ein Bagger drübergeht, muß geräumt werden.“
Jochen Grabler
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