: Neue Razzien gegen Vietnamesen
■ "Aktionsbündnis Bleiberecht" protestiert in Marzahn gegen verschärfte Polizeidurchsuchungen / Sollen Vietnamesen zur Rückreise gedrängt werden? / Senatsverwaltung für Inneres weist Vorwürfe zurück
„Da muß ich Sie leider enttäuschen. Aber Razzien“, so der Pressesprecher des Polizeipräsidiums, Detlef Kaiser, habe es in den Wohnheimen von VietnamesInnen in den vergangenen Wochen keine gegeben. Auch keine Durchsuchungen oder ähnliches. Mitte, Ende Januar, sei die „Arbeitsgruppe Ausländer“ zwar hin und wieder zu Kontrollen unterwegs gewesen, allerdings im Zusammenhang mit Fragen „aufenthaltsrechtlicher Natur“. Und, so Kaiser, auch nicht öfter als sonst.
Flüchtlings- und Bürgerinitiativen wie „SOS Rassismus“, „Ball e.V.“ und der Verein „Reistrommel“, die im „Aktionsbündnis Bleiberecht“ zusammengeschlossen sind, haben da anderes erfahren. Vor dem Hintergrund der mittlerweile erneut aufgenommenen Verhandlungen zwischen Bonn und Hanoi sei die Zahl der Polizeieinsätze besonders in den Heimen der Havemannstraße wieder drastisch angestiegen. Da Vietnam offensichtlich an der freiwilligen Rückkehr seiner Landsleute festhalten wolle, so „Reistrommel“-Sprecherin Tamara Hentschel, werde hier nichts unversucht gelassen, um VietnamesInnen letztlich zu einer „freiwilligen“ Heimreise zu bewegen.
„Nachts wird Ihre Wohnungstür aufgeschlossen und Männer in Zivilkleidung fangen an, Ihre Schränke zu durchwühlen. Beiläufig teilt man Ihnen mit, daß Sie einer Straftat verdächtigt seien“, heißt es in einem Flugblatt, das Ende der Woche in Marzahn verteilt wurde. Mit einer Mahnwache unterstützte das „Aktionsbündnis Bleiberecht“ Vietnamesen, die vor den Wohnheimen der Havemannstraße gegen den Willen der Betreiberfirma Arwobau GmbH und trotz zusätzlichen Wachschutzaufgebots auf ihre gegenwärtige Situation aufmerksam machten. „Schauen Sie nicht weg“, baten sie ihre deutschen Nachbarn, „wenn uns hier Unrecht geschieht.“
Zwar sei das Vorgehen der Polizei weniger auffällig geworden, bestätigten Heimbewohner der Havemannstraße 36. Es würden nicht mehr viele Mannschaftswagen anrollen, auch auf den Einsatz von Flutlicht verzichtete die Staatsgewalt, doch Aktionen fänden statt. Die Beamten kämen in kleinen Gruppen, mehrmals am Tage, oft auch nachts. Einer Familie, die auf Urlaub in Vietnam weilte, sei die Wohnung aufgebrochen und diese, obwohl dort weder Zigaretten noch andere verdächtige Gegenstände gefunden wurden, wochenlang unverschlossen für jedermann zugänglich gewesen. Vor 14 Tagen, so Tamara Hentschel, hätten die Polizisten eine Durchsuchung umgehend abgebrochen, als sie mit einem Fernsehteam vor dem Wohnheim stand. „Doch kaum hatten die ihre Kamera eingeklappt, ging die Aktion weiter, im gleichen Zimmer.“
Das Vorgehen der Beamten ist nach Beobachtungen der „Reistrommel“ in den Wohnheimkomplexen durchaus verschieden. In der Lichtenberger Rhinstraße würden beispielsweise keine Türen eingetreten, auch gäbe es keine mitternächtlichen oder unverhältnismäßigen Aktionen. „Mitglieder unseres Vereins waren dort kürzlich selbst Zeugen einer Festnahme. Die Beamten kamen unserer Bitte nach, den Festgenommenen die Handschellen zu lockern, außerdem konnten Verwandte und ein Anwalt informiert werden.“
Innensenatssprecher Norbert Schmidt wirft den Akteuren der Mahnwache Naivität vor. Über die Rückkehr der Vietnamesen hätten Bonn und Hanoi zu entscheiden. Er begreife nicht, wie jemand das polizeiliche Vorgehen als Schikane der Vietnamesen bezeichnen könne. Jeder wisse doch, daß es sich beim Zigarettenschmuggel um keine Lappalie handele. Hier sei die Mafia am Werk, Verdachtsmomenten müsse deshalb unbedingt nachgegangen werden: „mit sich verdichtenden Aktionen, tagtäglich, flächendeckend, regelmäßig“. Daß dabei auch Unbeteiligte, unter anderem in den Wohnheimen lebende Vertragsarbeiter gestört würden, sei bedauerlich, könne aber nicht zur Einstellung der polizeilichen Aktionen führen. „Für anerkannte Vietnamesen gilt doch, daß sie wie Sie und ich frei sind in der Wohnungswahl.“ Wer, so Schmidt, nicht mit Straftaten in Verbindung gebracht werden wolle, müsse die Wohnheime meiden. Kathi Seefeld
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