: Doch die Wunde bleibt
■ Und wenn alles gleich geworden ist, ist alles zu Ende: „The Soul Investigator“ von Kal Ng (Forum)
Die Filmfestspiele gehen zu Ende, und trotzig schaut man sich immer mehr Filme an, weil man das Ende nicht akzeptieren will und den Alltag scheut, der schon langweilig hinter der Berlinale hervorlugt. Um das Weltende geht es auch in dem Film des in Hongkong geborenen Kanadiers Kal Ng.
Der 28jährige Regisseur läßt in zuweilen wunderschönen Bildern Yuan, einen jungen Immobilienhändler (Patrick Chow/Edwin Cheung) an der Wirklichkeit irre werden. Seitdem er arbeitslos geworden ist, streift er Tag für Tag mit seiner Aktentasche in der Hand durch die menschenleere Architektur von Toronto. Die abweisend schönen Wolkenkratzer und auch ein paar alte Häuser kommen in Hochglanz-Schwarz- Weiß daher.
In seiner Handfläche hat Yuan eine Wunde, die ganz christlich blutet, doch nur er kann sie sehen. In den Nächten träumt er von roten Rosen. Ein plastischer Chirurg bietet ihm an, nicht nur die Hand, sondern gleich seinen ganzen Körper umzubauen. Yuan geht auf das Sonderangebot ein. Das Gesicht mag sich ändern, doch die Wunde – beliebte Metapher, die seit Jahren der Entwirklichung von Welt entgegengesetzt wird; sowohl bei Baudrillard als auch bei Botho Strauß heißt es irgendwo pathetisch, daß die Wirklichkeit jetzt wirklich blute – die Wunde mag nicht verschwinden.
Die Schönheit der Stadt bleibt weiterhin unwirklich, Häuser und Menschen beginnen sich immer mehr zu gleichen. An einer Straßenecke trifft der Held einen verrückten Bettler, dem einzigen, der seine Wunde zu sehen vermag. Der blinde Seher erinnert ein bißchen an einen Song von Leonard Cohen. Der Bettler führt Yuan zum Seelenforscher, einem Schamanen, der der aseptischen Stadt Archaisches entgegensetzt und am Feuer seltsame Geschichten und Gleichnisse erzählt. Zum Beispiel von Berufskillern, die sich in ihren Opfern irren, weil alle inzwischen so gleich aussehen.
Text und Bilder gehen in „The Soul Investigator“ unterschiedliche Wege und treffen sich selten. Manchmal funktioniert das, manchmal wünscht man sich den Text auch zum Teufel.
Das Weltende, von dem der Text spricht, ist längst schon erreicht. Der Held, der früher Musterhäuser gebaut hat, ist für dieses Ende mitverantwortlich. Ein wenig Verwirrung mag helfen.
Wenn alles gleich geworden sei, sei alles zu Ende, sagte Kal Ng nach der Aufführung seines Films. „Das ist eine Horrorvision“, fand Ulrich Gregor. „Aber es ist auch recht amüsant.“
Die Filmfestspiele gehen zu Ende. Von kundigen RegisseurInnen und ihren achtsamen MitarbeiterInnen wohlorganisiert waren die Dinge auf der Leinwand; da konnte nichts schiefgehen. Am Ende ist man traurig, weil selbst die Filme, die eine zersplitterte Wirklichkeit zeigen und das Weltende propagieren, weil selbst die Filme, in denen rein gar nichts passierte, einen als begeistert passiven Gast begrüßten. Detlef Kuhlbrodt
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