: Revolte im Jugendgefängnis von Halle
■ Der Knast in Sachsen-Anhalt ist ein Rekrutierungsfeld für Rechtsextremisten
Halle (taz) – Nach einer Revolte in einer Abteilung im Jugendgefängnis Sachsen-Anhalts in Halle sind am Samstag abend die drei mutmaßlichen Rädelsführer in Isolationshaft genommen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen die Männer im Alter zwischen 20 und 23 Jahren wegen Brandstiftung und Gefangenenmeuterei. Unklar ist noch, wie viele der 24 Häftlinge, die zum Zeitpunkt der Revolte in der Abteilung saßen, an der Randale beteiligt waren. Kurz nach 13 Uhr hatten mehrere Häftlinge begonnen, das Mobiliar zu zerschlagen, Barrikaden zu errichten und diese anzuzünden. Erst nach drei Stunden gelang es dem Anstaltspersonal, die Situation wieder unter Kontrolle zu bringen. Die Polizei, die mit 30 Beamten vor Ort war, mußte nicht eingreifen.
Der Vorfall ist der jüngste in einer langen Kette von Zwischenfällen. Erst letztes Jahr hatten mehrere Häftlinge einem Mitgefangenen ein Hakenkreuz auf die Stirn tätowiert und ihn sexuell mißbraucht. Ein 22jähriger, der wegen Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung eine Jugendstrafe von viereinhalb Jahren verbüßt und jetzt als einer der mutmaßlichen Rädelsführer an der Revolte beteiligt war, war auch an diesem Vorfall beteiligt und steht deswegen derzeit vor Gericht.
Für Experten ist es kein Wunder, daß es gerade in Halle immer wieder zu schweren Zwischenfällen kommt. „Das ist der schlimmste Knast von Sachsen-Anhalt“, sagt der PDS-Landtagsabgeordnete Matthias Gärtner, der erst kürzlich mit Fraktionskollegen die Gefängnisse von Sachsen-Anhalt besucht hat. „Wer da reinkommt, der wird erst richtig kriminell.“ Die beiden Sozialarbeiter, die für die Betreuung der Häftlinge zuständig sind, bestätigen diese Ansicht. Ihnen sei noch kaum ein Fall bekannt, daß ein einstiger Insasse des Jugendknastes in Halle nicht wieder kriminell wurde.
Die Mißstände, die Meutereien geradezu herausfordern, sind auch im Justizministerium bekannt. Ministerin Karin Schubert (SPD) hält den Knast in Halle als Jugendstrafvollzugsanstalt für „denkbar ungeeignet“. Unter den gegebenen baulichen Voraussetzungen sei ein moderner Jugendstrafvollzug hier kaum realisierbar. In Rasnitz im Landkreis Merseburg soll deshalb bald ein neuer Jugendknast entstehen. Aber im Landeshaushalt 1995 ist dafür nicht eine müde Mark abgestellt. Es geht also alles so weiter. Und derweil können rechtsradikale Schlägergruppen unter den entlassenen Gefangenen weiterhin ihren Nachwuchs rekrutieren. „Rund die Hälfte unserer Gefangenen ist extrem rechts orientiert“, gibt der Anstaltsleiter resigniert zu. Eberhard Löblich
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