■ So langweilig wie ihr Ruf waren die Hessen-Wahlen gar nicht: Zum erstenmal wurde eine rot-grüne Koalition bestätigt, und zum erstenmal werden die Bündnisgrünen ein Schlüsselressort...: In Hessen ist alles wie vorher, aber ganz anders
So langweilig wie ihr Ruf waren die Hessen-Wahlen gar nicht: Zum erstenmal wurde eine rot-grüne Koalition bestätigt, und zum erstenmal werden die Bündnisgrünen ein Schlüsselressort fordern. Am Ende gar das Innenministerium?
In Hessen ist alles wie vorher, aber ganz anders
Verzweifelt versuchten am Tag danach die SpitzenkandidatInnen der Bündnisgrünen – die MinisterInnen Iris Blaul und Rupert von Plottnitz und der Fraktionsvorsitzende Fritz Hertle – die Deckel auf den Töpfen zu halten. Aber es hilft nichts: Die Gerüchteküche brodelt. Die Grünen wollen ein „Schlüsselressort“ – Öko- oder Familienministerium reichen ihnen nicht mehr aus. Wie wär's zum Beispiel mit einem grünen Innenminister?
Schließlich sind die Grünen die eigentlichen Gewinner der hessischen Landtagswahlen, da müsse die SPD schon so ein Schlüsselressort abtreten, hieß es mit einem vom Wahlergebnis provozierten Lächeln auf den Lippen schon am Wahlabend. Spätestens in zwei Wochen sollen die Koalitionsverhandlungen mit der SPD beginnen.
Aber erst mal, wie gesagt, wird gedeckelt: „Die grünen Bonbons werden nicht vor der Landespressekonferenz ausgewickelt“, erklärte gestern der Noch-Umweltminister und Ex-Strafverteidiger Rupert von Plottnitz (54) trotzig, den Parteifreunde im April gerne als Innenminister wiedersehen würden.
Der Plotte und die Polizei – kann das gutgehen?
Tatsächlich ist „Plotte“ nicht der Umweltminister par excellence bei den Bündnisgrünen. Und um innenpolitische Themen hat sich der gebürtige Danziger, der in seinem Frankfurter Wahlkreis ein Traumergebnis von 26,4 Prozent erzielen konnte, als Fraktionsvorsitzender (1991 bis 1994) immer besonders gekümmert. Daß die Bündnisgrünen unter dem Fraktionsvorsitz von Plottnitz diverse Laufbahnreformen bei der Polizei mit vorantrieben und mehr Polizisten zu besseren Konditionen eingestellt wurden, könnte den Widerstand gestandener Sozialdemokraten gegen eine Nominierung des Bündnisgrünen minimieren.
Ein Schlüsselressort für die Bündnisgrünen? Das könnte auch das Finanzministerium sein. Wer dafür kandidieren könnte, liegt auf der Hand, sagen die Spekulanten aus Wiesbaden: Tom Koenigs, noch Kämmerer und Umweltdezernent der Stadt Frankfurt am Main. Die anstehenden Dezernentenwahlen in der Mainmetropole im März – bei laufenden rot-grünen Koalitionsverhandlungen auf Landesebene – sind von existenteller Bedeutung für die schwer angeschlagene rot-grüne Koalition in der Stadt. Galoppieren bei der SPD wieder „vier Schweine“ (OB Andreas von Schöler) durch die politische Landschaft, ist die Koalition im Römer am Ende (siehe unten) – und Doppeldezernent Tom Koenigs (49) wäre arbeitslos.
Um den seit Ende der sechziger Jahre tobenden Streit zwischen CDU und SPD um die Schulpolitik in Hessen endlich ad acta legen zu können, kann man sich bei den Bündnisgrünen auch vorstellen, das Kultusministerium zu besetzen. Mit dem Fraktionsvorsitzenden Fritz Hertle (50), einem Ex- Gesamtschullehrer und ausgewiesenen Bildungspolitiker, hätten die Bündnisgrünen auch für diese Position erste Wahl zu bieten. Und auch ein neuer Entwurf für den Zuschnitt von Ministerien wurde bei den Bündnisgrünen im Vorfeld der Hessen-Wahl diskutiert: Warum nicht zur Verfestigung der rot-grünen Zusammenarbeit die Ministerien mit einem „Doppeldecker“ besetzen – etwa mit einem roten Minister und einem grünen Staatssekretär (und umkehrt).
Inzwischen liegt ein erster konkreter Vorschlag auf dem Tisch: Die „Grüne Jugend Hessen“ fordert den Erhalt der bestehenden Ministerien, erweitert um Kompetenzen und die Einrichtung eines neuen Ministeriums für die Bündnisgrünen mit dem schlagkräftigen Namen „Ministerium für Wirtschaft, Frauen, Europa-Angelegenheiten und Technologie“.
Wenig Ministerien – viel Verteilungskampf
Die Koalitionsunterhändler werden sich allerdings mit einem Wahlversprechen von Ministerpräsident Hans Eichel auseinandersetzen müssen. Der hatte noch kurz vor dem Wahltermin einer Verkleinerung der Landesregierung das Wort geredet. Und bei zur Zeit gerade einmal zehn Ministerien werden die Verteilungskämpfe hart werden. Das gilt auch für die Sachfragen. „Die Gefahr der Rückfälligkeit der SPD in das alte Denken muß gebannt werden“, sagte Sozialministerin Iris Blaul. Husarenritte der SPD wie etwa beim Kippen der PVC-Entscheidung im Landtag oder beim Transrapid dürften nicht wieder das Binnenverhältnis in der Koalition belasten.
Als strahlender Wahlsieger trat Eichel, der seinen Heimatwahlkreis in Kassel an eine Kandidatin der CDU abtreten mußte, gestern nicht vor die Presse. Wie nach den für die SPD desaströsen Kommunalwahlen von 1993 beklagte er, daß es der SPD nicht gelungen sei, die von der Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung gebeutelten Schichten der Bevölkerung zum Urnengang zu animieren. Die Landesregierung müsse sich in Zukunft mit Bundesratsinitiativen noch mehr dafür einsetzen, daß „in dieser Gesellschaft alle Menschen ihren Platz finden“.
Eichel ist ein eiliger Landesvater. Der Minsterpräsident hat schon die Mitglieder der Koalitions-Verhandlungskommission der SPD ausgedeutet – und spätestens am 5. oder 6. April soll der Landtag den neuen (alten) Ministerpräsidenten wählen und die Regierungsmitglieder vereidigen. Um bündnisgrünen Blütenträumen vorzubeugen, stellte Eichel demonstrativ fest, daß die SPD „immerhin noch etwa dreieinhalbmal stärker im Landtag vertreten ist“ als der anspruchsvoller gewordene designierte Koalitionspartner.
So viel steht fest: Das Regieren in Wiesbaden für die Bündnisgrünen wird mit dieser arg gerupften und deshalb nervös gewordenen SPD bestimmt nicht einfacher werden als in der abgelaufenen Legislaturperiode. Die Bündnisgrünen sind die einzige Partei, die am Sonntag auch in absoluten Zahlen Stimmen dazugewonnen hat. Das mußte auch CDU-Oppositionsführer Roland Koch gestern neidlos konstatieren: „Das grüne Wählerpotential ist höher motiviert als das der anderen Parteien.“ Die Abstinenz der WählerInnen – immerhin ist ein Drittel der Wahlberechtigten am Sonntag zu Hause geblieben – habe den großen Parteien geschadet. Koch: „Da fällt die schönste Maske.“ Klaus-Peter Klingelschmitt,
Wiesbaden
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