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Devotionalie zum Mitnehmen

Vom Untergrundmedium zum Sammlerobjekt: Eine kleine Kulturgeschichte des partyanzeigenden Handzettels, genannt Flyer  ■ Von Johannes Waechter

Flyer liegen irgendwo rum: in Clubs, Plattenläden, Raveklamotten-Depots, Kneipen und an anderen Knotenpunkten der modernen Partykultur. Man nimmt sie mit, geht zu den annoncierten Parties hin oder auch nicht, hat die bunten Zettel danach noch zu Hause rumliegen und schmeißt sie weg oder auch nicht – ein typischer werbetragender Gebrauchsgegenstand der Wegwerfgesellschaft, so scheint es.

So scheint es falsch. In den letzten Jahren hat die Techno-Kultur die herumfliegenden Handzettel durch spezialisierte Nutzung zu kulturellen Markierungen von hoher Signifikanz gemacht. Die Entwicklung der Flyer vom handkopierten Party-Announcement zum mit beträchtlichem Design-Input hergestellten Werbeobjekt spiegelt den Verlauf dieser Kultur auf erhellende Weise.

Die Flyer sind der erste Ort, an dem Techno probierte, sich ein Gesicht zu geben. Hier wurde zuerst versucht, das Dilemma einer Musik ohne Stars, identifizierbare Interpreten und damit ohne zwingende grafische Repräsentation aufzulösen. Die Techno-Ästhetik, die nach fünf Jahren rasanter Ausdifferenzierung auch den Mainstream beschäftigt, Layoutkonzepte umwirft und die traditionelle Werbewirtschaft verunsichert, ist auf Flyern entwickelt worden – und es sind immer noch die Flyer, auf denen sich grafische Innovationen zuerst niederschlagen.

Gleichzeitig führt die im fünften Jahr von Techno begonnene Rückschau auf das Erreichte auch dazu, daß Flyer zu Artefakten werden, die man sammelt, ausstellt, bewundert – und deren Format sich momentan merklich langsamer entwickelt als noch vor Jahresfrist.

Handzettel, mit denen für Veranstaltungen irgendeiner Art geworben wurde, hat es schon immer gegeben. Der Sprung vom schnöden Wisch zum qualifizierten Flyer kam jedoch erst mit den ersten Acid-House-Parties im Jahr 88, Veranstaltungen, die bewußt nicht auf den üblichen Kanälen bekanntgemacht wurden, sondern mit Hilfe von Mundpropaganda – und von Flyern. „Der Flyer ist damals so eine Art Mundpropaganda gewesen“, sagt Helge Birkelbach, Szenekenner und Herausgeber des Nightlifemagazins Flyer. „Das Weiterreichen von einem Flyer war schon so gut wie der halbe Eintritt, anders hast du ja von der Party häufig nicht erfahren.“

Wir müssen draußen bleiben

Dieser subversive Kommunikationsansatz hatte seinen Ursprung in der Ideologie des frühen Partyvolks. Musikestablishment und Presse sollten tunlichst draußen bleiben, man wollte sich schließlich nicht den Spaß verderben lassen. Am einfachsten war das zu bewerkstelligen, indem man sie einfach nicht informierte. Ebenfalls draußen bleiben sollte die Polizei. Da die frühen Parties häufig in illegalen Locations stattfanden, war die kassiberartige Partybekanntmachung mittels Flyer manchmal auch ordnungsrechtliche Notwendigkeit.

Die Gestaltung der frühen Flyer war eher schlicht: Grinsende Smileys waren das bestimmende grafische Element, hergestellt wurden sie im Copyshop an der Ecke – farbiges Kopierpapier war lange der abgefahrenste Effekt, den Flyer zu bieten hatten. Doch mit der Festigung der Szene nach den wilden Acid-Jahren änderten sich auch die Flyer. Partyveranstalter professionalisierten sich, Clubs wurden eröffnet, Labels gegründet, die Kapitaldecke der Szene wurde stärker und stärker.

Gleichzeitig setzte ein rapider Preisverfall von Macintosh-Computern und Grafikprogrammen ein. Der Szene eröffneten sich also Möglichkeiten, ihre gestiegenen Ansprüche an visuelle Repräsentation ohne übermäßigen Aufwand umzusetzen. So kam es, daß sich um Partyveranstalter und Clubbetreiber herum eine Peripherie von Designern bildete, die mit großer Energie und viel Einfallsreichtum an der Sichtbarmachung und ikonographischen Festschreibung ihrer gesichtslosen Musik zu arbeiten begann. „Gerade in der Anfangszeit haben die Partymacher besonderen Wert auf das Ambiente gelegt“, erklärt Markus Hollmann-Loges, Designer beim Berliner Flyer-Multi Die Gestalten. „Für Flyer, Artwork, Deko und Projektionen wurde vergleichsweise mehr ausgegeben, als das heute der Fall ist.“ Da sich aus Techno nicht so zwangsläufig eine Identität erschließt, wie aus anderen Musiken, eine mächtige popkulturelle Bewegung jedoch nicht ohne gemeinsame Identity auskommen kann, halfen die von der Tragweite ihres Projekts überzeugten Techno-Lobbyisten hier etwas nach.

Blubbernde Plasmahaufen

Die Richtung, in die diese ästhetischen Bemühungen verliefen, entsprach der Einschätzung, die man von der eigenen Musik hatte. Techno wurde als Avantgarde verstanden, weswegen ein möglichst moderner, noch nicht von anderen Bedeutungsfeldern/Wirtschaftszweigen belegter Look gesucht wurde. Moderne Computerprogramme zur elektronischen Animation, die sich ab etwa 91 stark verbreiteten, lieferten die Möglichkeiten, einen solchen Look zu kreieren. So entstanden die glühenden Plasmahaufen, die bunt fluoreszierenden Space-Bälle, die abstrakten Formgebirge, die geometrischen Hintergründe, die bizarren Raumschiffe in diffusen Galaxien und all die anderen animierten Objekte, die zur Werbung für Raves, Clubs und Platten errechnet wurden und Techno ein schillerndes Gesicht gaben – und die, obwohl nur drei, vier Jahre alt, heute doch schon unglaublich altmodisch aussehen.

Mit der stilistischen Ausdifferenzierung der Musik änderten sich auch die grafischen Schwerpunkte. Die Trance-Welle hatte zum Beispiel zur Folge, daß die Farbe blau (wie das Meer und der Himmel) häufiger zu sehen war und Motive aus einer virtuellen „Natur“ sich auf Flyern breitmachten.

Größer, diffiziler, verschachtelter

Das im September 94 eingeführte Layout der Szenezeitschrift Frontpage gab eine andere Richtung vor: Die blubbernden Schriften und aufgebrochenen Seitenordnungen des Grafikers Alexander Branczyk führten zu einer völlig veränderten Typographie.

Die Computerindustrie tat ein übriges zur Fortentwicklung der Techno-Ästhetik. „Man kann in der grafischen Entwicklung die neuen Instrumente, die den Leuten an die Hand gegeben werden, sehr schnell erkennen“, sagt Markus Hollmann-Loges. „Das schlägt sich in den Flyern als allererstes nieder.“ Billige Scanner und verbesserte Fotoshop-Programme führten dazu, daß nach der Phase der Elektroanimation eine Zeitlang sehr viel mit verfremdeten Fotos oder anderen irgendwo gefundenen Grafiken gearbeitet wurde.

Dies eröffnete Möglichkeiten zur thematischen Umsetzung von Partymottos, die das reine Planschen im Plasmahaufen nicht geboten hatte. Eine weitere Folge der Scannertechnik ist das seit letztem Sommer besonders beliebte Bootlegging von Markennamen. Doch nachdem selbst das Zeit-Magazin dieser lustigen Spielerei einen Artikel widmete, dürfte die Welle der verfremdeten Bier- und Babycreme-Logos bald vorüber sein.

Wohin es dann gehen wird, ist ungewiß, und das liegt kaum an einem Versiegen der grafischen Imagination. Ideen wie der Flyer als Bastelbogen, der ausgestanzte, holographierte oder dreidimensionale Flyer (aus Frankfurt erreichte uns neulich eine verfremdete Puddingpackung, der Berliner Club Tresor verteilte schon mal ein kleines Häuschen und wirbt mit einem bedruckten Putzlappen für den morgigen HouseFrau-Abend) zeugen davon, daß durchaus genug kreatives Potential vorhanden ist, um den Flyer der Zukunft „größer, großartiger, diffiziler, verschachtelter, aufregender“ (Helge Birkelbach) als den Flyer der Gegenwart zu machen.

Are We Not Flyers? We Are Devo!

Im sechsten Techno-Jahr wird die wichtigste ästhetische Plattform der Bewegung nicht durch grafische Stagnation, sondern durch strukturelle Probleme gefährdet: Während einem die auf Flyern eingeführten Innovationen von Kiosken und Plakatwänden entgegengrinsen, nimmt die eigentliche Be

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deutung der Handzettel ab. So schwand ihre kommunikative Funktion in dem Maße, in dem sich Info-Medien für Raver gründeten und die Ravebetreiber auf normale Promotionkanäle zurückgriffen. Heute gibt es kaum noch Parties, die nur über Flyer annonciert werden, der subversive Hauch von Underground, der Flyer umwehte, ist verflogen.

Gleichzeitig haben die in unappetitliche Bereiche gestiegenen DJ-Gagen dazu geführt, daß viele Veranstalter ihre Party aus Kostengründen nicht mehr so aufwendig grafisch begleiten können wie noch vor zwei Jahren. Der aufwendig gestaltete Flyer, der das Image einer Party anzeigt, ist dabei, zum Prestigeobjekt zu werden, das sich nicht mehr viele leisten können – ein langer Weg für einen ehemaligen Undergroundkanal.

Die momentane strukturelle Krise der Flyer – mit einem neuen Computerprogramm könnte sie schon wieder verschwinden (doch derzeit ist keines in Sicht) – wird von verschiedenen Erscheinungen reflektiert, die wie Endpunkte der Flyer-Entwicklung scheinen, zumindest wie Endpunkte der goldenen Jahre: Zum einen ist hier die Musealisierung und kunstpolitische Verfremdung von Flyern zu nennen, zum anderen Helge Birkelbachs Berliner Magazin Flyer.

Dieses zweiwöchentlich erscheinende und kostenlos verteilte Brevier im Westentaschenformat faßt die von Flyern kommunizierten Termine zusammen und ergänzt sie um einen redaktionellen Teil mit Plattenkritiken, Nightlife- News und so weiter. Dadurch werden die originalen Flyer grafisch gesehen natürlich nicht überflüssig gemacht – eher das Gegenteil ist der Fall, wie Birkelbach betont –, doch ihre informative Notwendigkeit wird durchaus weiter zurückgeschraubt. Warum noch Flyer lesen, wenn alles schon im Flyer steht? Die einzige Bedeutung, die den Flyern bleibt, ist die der Devotionalie des Techno-Kults: diese Verehrung im Szenekontext steht hinter der Flyerausstellung, die Flyer im Laufe des Jahres veranstalten will.

Localize It!

Auch im Rahmen der letztes Jahr begonnenen und für diesen April neu angesetzten „Chromapark“- Ausstellung in Berlin wurden Flyer ausgestellt.

Das gerade erschienene Buch „Localizer 1.0“ enthält ein Kapitel über Flyer – mit Abbildungen besonders gelungener Exemplare (diverse Techno- und House-Zeitschriften prämieren im übrigen regelmäßig den Flyer des Monats).

Beide Projekte – Chromapark und „Localizer“ – sind Zusammenfassungen des derzeitigen Standes der Techno-Kultur und verfolgen eine zweifache Zielsetzung: Zum einen beweist sich eine Szene ihre eigene kreative Potenz, zum anderen beinhaltet der dokumentarische Ansatz auch ein nach außen gerichtetes Beharren auf kultureller Relevanz – die dank des kommerziellen Erfolgs der Musik sowieso schwer zu verweigern ist.

Besonders beeindruckend ist die Leistungsschau im Falle des Localizer-Buchs geraten. Es handelt sich um einen 300 Seiten starken Wälzer (erschienen im Verlag Die Gestalten, Berlin, 69,90 DM), der Texte zur Geschichte und Gegenwart verschiedener Aspekte der Techno-Kultur (Clubs, Labels, Design, Mode, Visuals etc.) enthält und dieses Material mit atemberaubender gestalterischer Vielfalt und Imagination in ein auf jeder Seite neues, überraschendes Layout umsetzt.

Eine Leistungsschau ist jedoch immer auch eine Musealisierung – und eine solche schwächt die Dynamik kultureller Bereiche erfahrungsgemäß entscheidend ab. Ein Zeichen dafür ist auch die breite Sammlerfront, die die mitgenommenen Zettel nicht ins Altpapier, sondern in gepolsterte Schatullen mit Vorhängeschloß wirft. Angelegt wurden diese Sammlungen von Szenemitgliedern, für die ein guter Flyer tendenziell „etwas Heiliges“ (Helge Birkelbach) ist, vor allem dann, wenn die annoncierte Party gut war. In diesen Kreisen existiert bereits ein reger Tauschmarkt, auch wenn Fälle, in denen für seltene Exemplare Geld gezahlt wurde, noch sehr selten sind. Doch das wird sich ändern: „Ich denke, es wird noch ein, zwei Jahre mit den Telefonkarten weitergehen“, sagt Markus Hollmann-Loges, „bevor dann die Flyer kommen.“

The Sound Of Poetry

Ein anderes Anzeichen dafür, daß Flyer nicht mehr das sind, was sie einmal waren, ist die Tatsache, daß Techno-Flyer mittlerweile ihrerseits gebootlegt werden. Anläßlich der Ausstellung „When Tekkno Turns To Sound Of Poetry“ in den Berliner Kunst-Werken haben die Künstlerinnen Judith Hopf und Katia Reichard existierende Flyer gefälscht, indem sie sie gescannt, verfremdet und dann die Partydaten in originaler Typographie durch ihre eigenen kultur- und medienpolitischen Texte ersetzt haben.

Diese Aktion rekurriert genau auf die originale Subversivität, die der Flyer als unabhängiges Kommunikationsmedium früher einmal hatte. Im Techno-Kontext hat er sie heute nicht mehr, doch wenn sie inzwischen in anderen Kontexten gesucht wird, so ist das ein gutes Anzeichen dafür, daß mit dem Flyer als Zettel – über dessen Fund man sich angeregt freuen kann – auch weiterhin zu rechnen ist.

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