: Intergalaktischer Gummitwist
... zu Cosmic Babys Musik: „Futura“, ein „virtuelles Space Ballett“ in der Berliner Akademie der Künste ■ Von Thomas Groß
Nenn ihn niemals einfach DJ! Wer's trotzdem tut, wird von Mike Köhler, Chef von Logic Records, sanft, aber bestimmt aufgeklärt: „Cosmic ist kein Plattenaufleger, sondern ausgebildeter Pianist, ein Komponist, ein Künstler. Auf großen Bühnen dieser Welt wirkt er als Experimentator, der Techno, Trance und Tanz auf ganz neue Weise zusammenführt.“
Gelogen ist das nicht: Der 29jährige Mann aus Nürnberg, der (meistens) in Berlin lebt und sich Cosmic Baby nennt, ist ein Charismaverkörperer erster Güte. Mild wie der Stifter einer neuen Religion lächelt er von Portraits herab, gewiß, neben Marusha, Westbam und Sven Väth eine der Zugnummern auf deutschen Groß-Raves zu sein. Sogar die Leute vom ARD-Kulturreport sind schon auf ihn aufmerksam geworden, haben Bilder versendet, die Cosmic sowohl als zauberischen, massenbetörenden Oberkörper am Mischpult wie auch als verträumt-genialischen Klangwerker zeigen. „Ich habe schon einen sehr hohen Intelligenzquotienten“, hat er ihnen sehr ernsthaft in die Kamera gesprochen, um dann unendlich nonchalant hinzuzufügen: „aber was heißt das schon?“
So jemand hat die Lächler auf seiner Seite. „Elektro-Mozart“, „Trance-Wunderkind“, „Thomas Edison der House-Musik“ sind Etiketten, die ihm schon in den Jahren aufkeimenden Ruhms bereitwillig angeheftet worden sind. Nur logisch, daß die Botschaft heute von Mittelsleuten ausgelegt werden muß, als wäre der Verklärte nicht mehr so recht von dieser Welt. „Immer wieder hat Cosmic von der Auseinandersetzung mit anderen Kunstformen gesprochen“, heißt es in einer Mitteilung von Logic Records, Cosmics Label. Ganz in diesem Sinne hat Cosmic unter dem Namen Visions Of Shiva mit einem anderen DJ kooperiert, hat Filmmusiken bearbeitet und für einen Beitrag über die Babelsberger Studios Marlene Dietrichs Stimme gesamplet – „eine andere wichtige und schöne Erfahrung“. Und schließlich hat Cosmic „Futura“ geschrieben, die Musik zu einem „virtuellen Techno-Ballett“, das, nach einem Probelauf im vergangenen Jahr, am Donnerstag in der Berliner Akademie der Künste zur Aufführung gelangte.
Gediegen, wie der Wurf eines Genies, ist schon das Kompositionsscript, das an die Presse gegeben wurde – in klassischer Notierung, mit geprägtem Struktureinband. „Dieses Notenwerk ist urheberrechtlich geschützt. Vermietung, Kopierung und Vervielfältigung sind strengstens untersagt und werden zivil- und strafrechtlich verfolgt“, steht dort geschrieben – was Zweiflergestalten schon mal auf die Idee bringen könnte, hier würde Verrat an der Uridee des Techno getrieben, im fröhlichen Materialklau Prinzipien, wie Autorschaft und Originalität, in den Wind zu schießen. Doch das sind kleinliche, winkelphilosophische Überlegungen, die der Welt des kosmischen Baby wesensfremd sind – es geht um die Erde als Ganzes, und zwar im Jahre 3003.
Alle befürchteten Katastrophen sind eingetreten, Menschen gibt es eigentlich nicht mehr, bloß ein paar kybernetische Wesen haben in einer Art Cyberspace überlebt.
Tänzer und Tänzerinnen in enganliegenden Trikots bringen das unmißverständlich zum Ausdruck, springen und pirouettieren zu Softtechnoklängen vielgestaltig vor schwarzdüsterem Bühnenhintergrund, fallen aneinander vorbei, fuchteln mit Leuchtstäben. Eine Figur im durchbrochenen Reifrock mit Erdkugelkopf kommt hereingetanzt, eine andere schnappt sich das Ding, wirbelt es durch die Luft, trampelt darauf herum, bis schließlich sichtlich die Luft draußen ist und die Tänzer im aufsteigenden Giftnebel von unsichtbaren Komparsen weggezogen werden, kurzes Aufdonnern: „Der Ring der Kraft, der die Menschen an die Erde gebunden hatte, zerbrach.“
Blöderweise kann ich mal wieder gar nicht erkennen, daß hier postapokalyptische Probleme in Angriff genommen werden, sondern sehe bloß begnadete Körper im André Hellerschen Sinne, die sich komische Streifen auf die Trikots gemalt haben (sieht aus wie die Lötbahnen auf Platinen), damit es im Licht der UV-Strahler schön fluoresziert; oder bleibe bei den Komparsen am Bühnenrand hängen, die, Lasergewitter simulierend, angestrengt Bänder über die Bühne wirbeln, in denen die Tänzer sich verfangen zum intergalaktischen Gummitwist.
Es scheint immerhin keinen zu stören im zahlreich erschienenen Publikum, das in stiller Andacht jede Bewegung verfolgt – beileibe nicht nur Clubleute oder avanciertere Technomodenträger, sondern ganz durchschnittliche gymnasiale Jugend sowie einige „ältere Leute“, sicher Elternteile, die erleben wollen, wie ihre Söhne oder Töchter bei Kunst mitmachen. Denn daß es sich um solche handelt, scheint gesichert, wenn die Musik das Geschehen zum „Futura“-Titelthema empordonnert. Plötzlich steht eine Art Techno- Rapunzel wie eine deutsche Freiheitsstatue mit gebleckter Brust siegreich im Raum, und unter ihren Rockschößen kriechen wiedergeborene Menschenkinder hervor. Irgendwie haben die Cyberkörper sich rematerialisiert, erleben selig „das Lachen der Kinder, Augen, die sich küssen“, Happy End.
„Die Träume jedoch erzeugen die Wirklichkeit“, sagt die Stimme aus dem Off noch, bevor alles unter Walfischgesang und Verbeugungen der beteiligten Kreativen in frenetischem Beifall (wie man so sagt) versinkt, und nach mehreren Aufzügen sogar das kosmische Baby noch auftaucht, das eigens für den Event aus seinem momentanen Aufenthalt Los Angeles eingeflogen wurde.
Wie Cosmic selbst mit seinem hohen Intelligenzquotienten das wohl alles finden mag, habe ich mich noch kurz gefragt, den Gedanken aber sofort wieder als absurd verworfen: Der Mann muß längst abgespacet sein in einen Raum elysischer Eigenschwingung, an den weder Selbst- noch Fremdzweifel heranreichen. Cosmic ist die Popversion eines deutsch-visionären Trancetechnogenies, und wie bei allen Superpop-Phänomenen steht sein Erfolg in einem umgekehrten Verhältnis sowohl zu seinen tatsächlichen Fähigkeiten als Musiker als auch zu seiner diskursiven Verarbeitbarkeit. Wer will schon „kritisch hinterfragen“, was derart wuchtig glänzt? Cosmic bewegt sich sozusagen im Windschatten seiner eigenen Pracht, er füllt das Herz eines jeden mit interstellarer Wichtigkeit. Und deshalb wird dieser Techno-Bhagwan uns auch noch lange erhalten bleiben. Die Sub- Identities „Cosmic Inc.“ und „Cosmic Ltd.“ sind bereits gegründet, die eigentliche Apokalypse läßt noch ein Weilchen auf sich warten, Techno macht weiter, im Frühjahr kommt die neue CD. Es hilft alles nichts: Nummer 5 lebt.
Noch einmal heute, 21 und 24 Uhr, in der Berliner Akademie der Künste, Hanseatenweg 10
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