: Der tödliche Neid des kleinen Zahid
Das pakistanische Obergericht hebt das Todesurteil gegen zwei der Gotteslästerung beschuldigte Christen wieder auf / Nach der Freilassung schweben die beiden weiter in Lebensgefahr ■ Von Bernard Imhasly
Delhi (taz) – Es begann, folgt man den Aussagen von Salamat Mansih, dem heute vierzehnjährigen Hauptangeklagten, mit einem Streit von zwei Jungen um Tauben. Der Sport mit Tauben ist in den Dörfern der Provinz Punjab sehr beliebt, und schon Knaben dressieren ihre Tauben so, daß sie möglichst hoch fliegen. Als sich die zwei Tauben des jungen Salamat nach einem Flugwettkampf auf das Dach des Nachbarn, dem lokalen Großgrundbesitzer, setzten, wurden sie von Salamats Rivalen, dem achtjährigen Zahid, getötet.
Salamats Mutter reichte auf dem Polizeiposten des Dorfs Klage ein; doch statt sich zu verteidigen, machte der kleine Zahid eine ungeheuerliche Anklage: Er habe gesehen, wie Salamat und seine beiden Onkel blasphemische Worte an die Wand der Moschee gekritzelt und Papierfetzen gleichen Inhalts über die Mauer geworfen hätten. Maulvi Fazlul Haq, der lokale Mullah, machte sich darauf zum Kläger und behauptete, er selber habe den drei bei ihrem Frevel zugeschaut. Die Beleidigungen seien so schlimm gewesen, daß er die Worte sofort ausgelöscht habe.
Laut Paragraph 295c des pakistanischen Strafrechts steht auf Beleidigung des Propheten die Todesstrafe. Das Verfahren nahm, auch ohne Beweise, seinen Lauf. Am 9. Februar wurden Salamat und sein anderer Onkel von einem Bezirksgericht in Lahore zum Tod verurteilt. Zwei Wochen später hat das Obergericht dieses Urteil nun aufgehoben. Die Verteidigerin der beiden Christen drang mit ihrer Berufung durch, wonach der Fall mangels Beweisen niederzuschlagen sei.
Zahlreiche Proteste aus dem Ausland und Druck von Seiten der Regierung, welche um ihr internationales Image fürchtete, zwang die Richter, die Minimalbedingungen einer fairen Urteilsfindung zu beachten. So hatte etwa das untere Gericht nie überprüft, ob der junge Salamat nicht doch Analphabet war, wie er immer behauptet hatte; das Urteil eines einzigen Belastungszeugen hatte genügt – dessen einzige Qualifikation laut Verteidigung darin bestand, daß er einen Bart trug, also ein strenggläubiger Muslim war.
Der Freispruch erfolgte gegen den heftigen Widerstand der Anklagevertreter, einer von ihnen verließ unter Protest den Gerichtssaal. Die Berufungsinstanz ließ sich auch nicht von lautstarken Gruppen beeindrucken, die seit dem Tag des Appells täglich das Gerichtsgebäude umringt hatten. Diese stellten noch am Tag der Freilassung sicher, daß die beiden Christen weiterhin um ihr Leben fürchten müssen: Einige der Sprecher schworen, daß sie – ebenso wie die Richter und die Verteidiger der beiden Freigesprochenen – den Tod verdient hätten.
Das Schicksal von Mansur Masih, dem Onkel von Salamat, läßt keinen Zweifel am Ernst der Drohung: Mansur war am 6. April 1994 vor dem Gerichtsgebäude durch unbekannte Täter von einem vorbeifahrenden Motorrad aus erschossen worden.
Kommentar Seite 10
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen