: „Wir wissen, was auf uns zukommt“
Die Soldaten des Gebirgssanitätsbataillons acht bereiten sich auf einen Bosnien-Einsatz vor. Die Truppe hat bereits Erfahrungen gesammelt – in Somalia und Kambodscha. ■ Aus Kempten Klaus Wittmann
Scheinbar geht alles seinen gewohnten Gang in der Artilleriekaserne am Stadtrand von Kempten. Schneeräumfahrzeuge haben die Einfahrt freigeschaufelt, der Gefreite am Kasernentor grüßt, wie er immer grüßt, wenn er die Schranke öffnet. In der Kantine laufen die Vorbereitungen für den Faschingsball am Abend auf Hochtouren.
Nur bei genauerem Hinsehen merkt man, daß der Alltag doch unter anderen Vorzeichen steht. Etwa beim Treffen mit dem Bataillonskommandeur Axel Braack, wo ungewöhlicherweise ein Presseoffizier des Wehrbereichskommandos VI aus München mit von der Partie ist. Er sitzt weiter am Tisch, wenn die niedrigeren Dienstgrade zum Gespräch ins Kommandeurszimmer gebeten werden. Auch beim Rundgang in der Kaserne und im Krankenhaus ist er anwesend.
Beim Gebirgssanitätsbataillon acht im Allgäu weiß man seit zwei Tagen, daß im Falle eines Abzugs der UN-Soldaten aus Bosnien ein humanitärer Einsatz ins Haus steht. Die Soldaten haben es aus dem Radio erfahren. Bald schon könnte es für 60 Sanitätssoldaten und zehn Ärzte aus Kempten heißen: Die Siebensachen packen, marschfertig auf den Abflug nach Bosnien warten.
„Meine Soldaten wissen, daß sie zum Krisenreaktionsverband gehören. Das heißt, sie wissen auch, daß dieser Auftrag auf sie zukommen kann“, erklärt der Kommandeur, der selbst schon einen Auslandseinsatz zur Erdbebenhilfe im Iran hinter sich hat. Jeder Zeit- und Berufssoldat habe vor seiner Einstellung eine entsprechende Erklärung unterschrieben, und auch bei den Wehrpflichtigen sei die Bereitschaft groß. Etwa 75 Prozent von ihnen würden auf freiwilliger Basis mitgehen.
Anders als bei den Zeit- und Berufssoldaten müssen Wehrpflichtige ausdrücklich ihr freiwilliges Einverständnis erklären. Ganz selten sagt ein Gefreiter, daß er nicht zu einem Auslandseinsatz mit will. Fragt man sie, egal ob Zeit- oder Berufssoldaten oder Wehrpflichtige, hört man vor allem einen Satz immer wieder: „Das ist doch das Sinnvollste, was ich bei der Bundeswehr machen kann – helfen.“
Sie sind alle im Sanitätsdienst tätig, müssen im Fall des Falles einen mobilen Operationssaal aufbauen, müssen Verwundete versorgen. Ihre Ausrüstung ist eine Neuentwicklung. Erfahrungen aus Somalia und Kambodscha flossen ein – was Auslandseinsätze angeht, gehören die Kemptener Sanitäter zu den erfahrensten Bundeswehrsoldaten. Kein Wunder, daß die die Erklärungen entsprechend routiniert und pflichtbewußt klingen. Man spürt, daß sie nicht zum erstenmal antworten.
Doch allmählich lassen die Soldaten durchblicken, daß so ein Einsatz auch mit Ängsten verbunden ist und gewissen Spannungen daheim. Ein mulmiges Gefühl, sagt der Oberfeldwebel Ronald Schmidt, sei es schon. Vor allem, wenn dann der Einsatz wirklich unmittelbar bevorsteht. „Ich denk' schon, daß dann 'ne gewisse Angst kommt.“ Schmidt weiß, wie seine Kollegen, wovon er spricht. Drei Monate war er bereits in Somalia. Den Abschied von Frau und Kind hat er nicht vergessen, aber die Familienbetreuung im Bataillon helfe den Angehörigen sehr. Feldwebel German Beinder nickt. „Ich war sieben Monate in Kambodscha. Meine Frau hat gewußt, daß solche Aufträge auf uns zukommen.“ Die Gefahr bestehe einfach, daß „hier irgendwelche größeren Schädigungen eintreffen“. Sie hat das gelassen zur Kenntnis genommen. Darüber, was alles passieren könnte, will sowieso niemand so genau nachdenken.
Und ein klein wenig Routine wurde ja schon bei den anderen Auslandseinsätzen erworben. Noch weiß freilich kein Soldat genau, was auf ihn zukommt, und nach wie vor läuft der Kasernenalltag nach dem gewohnten Dienstplan ab. Keiner der infrage kommenden Sanitäter weiß, ob er definitiv dabei wäre.
Nur für einen Mann steht die Teilnahme fest: Oberstabsarzt Bodo Kress. Denn Kress ist Kompaniechef. Kurz nachdem er 1993 die Kompanie übernommen hatte, mußte er nach Somalia. „Wir wissen alle, was auf uns zukommt, und alle von uns haben ihre Familien lange schon darauf vorbereitet“, sagt der junge Arzt. Seine Frau habe Verständnis für solche Einsätze. Dort könnten die Sanitäter den Patienten das zugute kommen lassen, was sie zuvor in der Kaserne, im Krankenhaus gelernt hätten. Zwei Wehrpflichtige stoßen zu dem Gespräch hinzu, salutieren vor ihren Vorgesetzten und beteuern, freiwillig dabei sein zu wollen.
Zwanzig Jahre ist Mark Wolf alt. Seine Eltern wissen noch nichts davon, daß ihr Sohn möglicherweise bald zu einem Auslandseinsatz abkommandiert wird. „Des is mei Entscheidung“, sagt der junge Rekrut. „Ob ich da zwölf Monate abreiß' oder da unten – freilich, das ist ein gewisses Risiko. Aber ich fahr schließlich auch Motorrad. Da kann mir auch was passieren.“
Sein gleichaltriger Kollege Simon Leibrecht ist etwas vorsichtiger. Ein bißchen Angst habe er schon vor dem möglichen Einsatz in Bosnien, aber als Sanitätssoldat wolle er eben Hilfsbedürftigen helfen. Der Einsatz, für den sich an diesem Freitag so viele Reporter und Kamerateams interessieren, ist für sie alle noch sehr weit weg. Viel näher ist da der Faschingsball, und man merkt es den Soldaten an, daß sie froh sind, wenn die Journalisten bald wieder abrücken, damit sie sich weiter um die Vorbereitungen kümmern können – die Vorbereitungen für einen feucht-fröhlichen Abend in der Kantine.
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