: „Wodka satt“ im geklauten Trabbi
■ PDS-Sprecher Harnisch wegen Autodiebstahl und Suff verurteilt
Berlin (taz) – Der Mann ist groß (fast 1,90 Meter), von einigem Gewicht (über 110 Kilogramm), vor allem aber ist er zerknirscht. Im Verhandlungszimmer des Amtsgerichts Tiergarten gibt Hanno Harnisch, gelernter Kfz-Schlosser, diplomierter Philosoph und heute Parteisprecher der PDS, kleinlaut zu: „Ein Fall von galoppierender Unvernunft.“ Ein Fall Harnisch, denn der Sprecher sitzt auf der Anklagebank. Wegen einer Zecherei mit Folgen.
Das kuriose Stück mit Starbesetzung wurde am 10. November 1993 gegeben: Ein Jahr alt ward das PDS-eigene Diskussionsblatt Disput geworden, ein Grund zum Feiern in einem Restaurant am Savignyplatz, mitten im Herzen Westberlins. Kräftig wird getafelt, Schwergewicht Harnisch bestellt ein üppiges russisches Gericht (doppelte Portion). „Dazu Wodka satt“ ist auf der Karte vermerkt.
Nach der Völlerei treten die Teilnehmer den Rückzug ins entfernte Mahrzahn und Höhenschönhausen an – außer Hanno lassen sie die Reste einer Zweiliterflasche „Smirnow“ zurück. Dieser gibt Hanno erst einmal den Rest. Wenig später stellt er sich an den Straßenrand, er wartet auf einen Freund, der ihn abzuholen versprochen hat. Doch der ist auf einem Ray-Charles-Konzert, und dort jagd eine Zugabe die andere. „Mir ist kalt“, denkt Hanno leicht umwölkt im Wartestand und gibt damit die Bühne frei für Johann Kresnik, den Tanztheaterchef der Berliner Volksbühne. Der sitzt nebenan in der „Paris Bar“, zusammen mit dem früheren Regierenden in Berlin, Walter Momper, dessen Ehefrau Anne und Theaterintendant Frank Castorf.
Kresnik will sein neues Spielzeug, einen knallroten Trabbi, vorführen. Wie der Zufall will, hat auch Harnisch eben jenen Trabbi erblickt. Das Frieren ist er leid, der Kumpel fehlt – schon sitzt er drin, in Kresniks Prunkstück, schaltet das Radio ein. Schließlich der kurze Entschluß: Kurzschließen, ab nach Hause. Für den gelernten Kfz-Schlosser kein Problem.
Zeitgleich verlassen Kresnik und Freunde die Bar, das Auto zu bewundern. Momper schaltet zuerst: „Da fährt doch gerade so einer“, ruft er verblüfft – zückt das Handy, wählt 110.
Tatsächlich ist es nicht dieser Anruf, der Harnisch zum Verhängnis wird. Kaum losgefahren sieht er vor sich eine Polizeikontrolle. Mutig wendet Harnisch, entgeht knapp einem Poller, wird aber nur wenig später von einer Zivilstreife an der Siegessäule gestellt. Nach der Blutprobe, drei Stunden später: 1,43 Promille.
Kresnik hat Hanno Harnisch verziehen. Nicht so die Justiz. Knapp zwei Stunden wird verhandelt. Dann heißt es: 120 Tagessätze zu 40 Mark, Führerscheinsperre für sechs Monate. Wolfgang Gast
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