Luxusliner auf Zehenspitzen

■ Volksversammlung am Deich: Die „Oriana“ fuhr ohne Schrammen durch die Ems

Grauer Himmel, kalter Nieselregen, kein Lufthauch und die Flut zehn Zentimeter höher als erwartet: Was für Landratten ostfriesisches Schmuddelwetter ist und sie dazu bringt, länger im Bett zu bleiben und warmen Kakao zu trinken, erschien am frühen Sonntag morgen tausenden von Menschen auf dem Deich zwischen dem emsländischen Papenburg und dem ostfriesischen Leer als ein Geschenk des Himmels: „Es war tolles Wetter, wie für uns bestellt“, grinste rundum zufrieden Bernard Meyer aus Papenburg. „In unserem katholischen Ort sind sicher ein paar Kerzen darauf angezündet worden.“

Der Mann hatte Grund zur Freude. Denn durch die Hilfe des gnädigen Himmels, eine großartige Navigations-Leistung von Besatzung und Lotsen und durch die konstante Ausbaggerung der Fahrrinne in der Ems gelangte gestern vormittag das Kreuzfahrtschiff „Oriana“ von der Meyer-Werft nach Leer. Im Schrittempo tastete sich das 470-Millionen-Mark-Traumschiff sozusagen auf Zehenspitzen über die schwierigsten 20 Flußkilometer. Alles lief nach Plan, verkündeten Lotsen, Werft und die britische „P&O“-Reederei in Leer – kein Kratzer am Schiff.

Bis zuletzt war Ablauf und Ausgang der Überlandfahrt unsicher: Eine niedrige Tide, Nebel über dem Fluß oder mehr als fünf Windstärken hätten die Fahrt verhindert: An manchen Stellen wurde es dann auch trotz idealer Wetterbedingungen ordentlich eng – denn der Wiesenfluß Ems ist für einen Ozeanriesen einfach zwei Nummern zu klein. Die „Oriana“ mit ihren 260 Meter Länge, 32 Metern Breite und einem maximalen Tiefgang von 7,90 Metern und ihren 70.000 Bruttoregister-Tonnen dampfte mit eigener Kraft (ein Schlepper am Heck und am Bug waren nur als doppelte Sicherheit dabei) knapp durch enge Kurven wie die Weekeborger Bucht oder durch die Eisenbahnbrücke bei Weener. Knapp ein Meter Raum für Manöver in der Kurve, vier Meter Abstand von den Brückenpfeilern in Weener und immer die Frage, wie schmal die berühmte Handbreit Wasser unter dem Kiel wirklich ist – in Papenburg hat man gelernt, in Zentimetern zu rechnen. Der Besatzung auf der Brücke, erklärte Werftbesitzer Meyer stolz nach der Überführung, wurden die Tiefen und Tücken der Ems bereits seit Wochen per neuartiger Computersimulation eingebleut.

Das große Interesse der Bevölkerung und die Bewunderung für die technische Leistung wertete Meyer als Abstimmung mit den Füßen für sich und gegen „gewisse Umweltschützer“. Die nämlich, allen voran die Verbände WWF, BUND und NABU, hatten es gewagt, den regionalen Konsens zum Thema Emsvertiefung anzugreifen: „Das Schiff ist sicher die Ems runtergekommen und das ist gut so. Aber der Fluß ist dafür kaputtgemacht worden“, meinte Robert Exner vom BUND Niedersachsen, für den das Spektakel trotz allem „faszinierend“ war. Die Umweltverbände hatten im Herbst 1993 neben einer eigenen Verbandsklage auch die Klage von sieben Fischern aus Ditzum an der Emsmündung unterstützt, die gegen die geplante Vertiefung auf 7,30 Meter geklagt und überraschend Recht bekommen hatten. Die Region geriet in Aufruhr: Die „Oriana“ saß halbfertig in der Papenburger Werft, die wiederum in der strukturschwachen Region 1.800 Menschen in Lohn und Brot hält. Was nicht sein durfte, konnte dann auch nicht sein: Die Fischer wurden entschädigt und bekamen neue Boote, mit denen sie nun im nächsten Jahr irgendwo auf dem offenen Meer fischen müssen. Die Umweltverbände stellten ihre Klagen ein und trotzten dem Land Niedersachsen insgesamt 17,5 Millionen Mark ab, die in direkte Umweltprojekte in der Ems-Region und in eine Stiftung fließen sollen.

Einig waren sich die Kontrahenten damals, daß die Vertiefung für Schiffe mit einem Tiefgang von 7,30 das absolute Ende der Fahnenstange sein würde. Darauf wiederum wollte sich Werftbesitzer Meyer im Hochgefühl der erfolgreichen „Oriana“-Fahrt nicht einlassen: „Wenn der Markt es verlangt, werden wir auch größere Schiffe als die Oriana bauen. Deren Tiefgang muß aber nicht größer sein.“ Die „problemlose“ Fahrt sieht Meyer durchaus als Signal an die Reeder von Luxusdampfern, daß der Werftenstandort Papenburg weiterhin im Rennen bleibe. Dem Fluß, meinen die Umweltschützer, hilft das nicht viel und zur Ruhe komme sein Ökosystem auch nicht mehr: Je tiefer der Fluß, desto mehr und häufiger müsse für den Erhalt der Fahrrinne gebaggert werden. „Die Werft soll nicht so tun, als wäre diese Fahrt der sichere Beweis für die Machbarkeit einer Überführung“, meinte Exner. „Die hatten doch vorher ordentlich Muffensausen.“ bpo