: Sündenstudium
■ Das Pro 7-Journal "Liebe Sünde" wehrt sich gegen die Staatsanwälte, die dort Pornographie entdeckt haben wollen
So groß kann der Druck nicht gewesen sein, der die Münchener Staatsanwaltschaft hat aktiv werden lassen. Schon am 17. August letzten Jahres hatten drei „Privatbürger aus dem Württembergischen“ Anzeigen gegen eine Sendung von „Liebe Sünde“ erstattet, in der ein italienischer Pornodarsteller aus dem Nähkästchen plauderte und bei seiner Arbeit gezeigt wurde. Die Sendung habe, so gaben sie wohlfeil formuliert zu Protokoll, ihr Anstandsgefühl tief verletzt. Aber erst fünf Monate später, am 18. Januar, konfiszierten zwei Polizisten und ein Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft München bei Pro 7 26 Bänder bereits ausgestrahlter Sendungen von „Liebe Sünde“, darunter auch die schamverletzende. Es bestehe der Verdacht, daß die von der Berliner Produktionsfirma „mea culpa“ angefertigten Beiträge für Matthias Frings' „Liebe Sünde“-Magazin pornographische Sequenzen enthielten.
Referenten der Münchener Staatsanwaltschaft guckten sich daraufhin die 26 Kassetten eingehend an, spulten vor und zurück, diskutierten womöglich noch ein wenig – und kamen nach mehrwöchigem Sünden-Studium überein: Zwei Drittel der beaugapfelten Sendungen enthalten pornographische Sequenzen. Das erklärte der Leitende Oberstaatsanwalt beim Landgericht München I, Dieter Emrich, 53, auf Anfrage der taz.
Emrich, der selbst noch keine einzige „Liebe Sünde“-Folge gesehen hat, steckt allerdings in einem Dilemma. Paragraph 184 des Strafgesetzbuches regelt zwar, daß mit Freiheitsstrafe oder Geldbuße zu rechnen hat, wer „eine pornographische Darbietung durch Rundfunk verbreitet“. Doch die Definition von Pornographie ist offenbar Interpretationssache; der Gesetzgeber bleibt da unpräzise. In der Rechtssprechung ist eine Darstellung etwa dann pornographisch, wenn sie „erkennbar anreißerisch und aufstachelnd auf das Geschlechtliche hinweist“. Und wenn „der Mensch zum bloßen Objekt geschlechtlicher Begierde degradiert wird“. Das soll bei „Liebe Sünde“ der Fall gewesen sein?
Die Münchener Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Pro 7 nach diesem § 184 StGB, der ein Offizialdelikt impliziert. Das heißt soviel wie: Wir ermitteln, weil öffentliches Interesse touchiert ist. In den kommenden Tagen wird man Pro 7 Gelegenheit bieten, sich zum Vorwurf der Verbreitung pornographischer Darstellungen im Fernsehen zu äußern. Pro 7-Sprecher Alexander Fink läßt verlauten, daß der Sender zur Wahrung seiner Interessen bis zum Letzten gehen werde. Es könnte also sein, daß „Liebe Sünde“ einen Präzedenzfall geschaffen hat, Pro 7 würde auch bis vor den Bundesgerichtshof ziehen, um zu klären: Wo beginnt Pornographie?
Matthias Frings wie auch die Frauen und Männer von „mea culpa“ wehren sich dagegen, daß man ihnen Pornographie unterstellt. Es komme doch darauf an, in welchem Umfeld praktizierte Sexualität gezeigt werde. Die Bilder in „Liebe Sünde“ seien Dokumentationen, keine Porno-Clips. Völlig absurd finden sie die Behauptung, in „Liebe Sünde“ werde außerdem Prostitution verherrlicht. Frings: „Wenn in einer Sendung eine Prostituierte 45 intensive Minuten lang aus ihrem Leben erzählt, wenn sie davon berichtet, von Zuhältern an eine Heizung gekettet und mit Messern bedroht worden zu sein, dann kann ich darin keinerlei Verherrlichung der Prostitution entdecken.“
Der Beitrag über den Pornodarsteller, der schließlich zur Beschlagnahmung von 26 Kassetten führte, dokumentierte den erfolgreichen Kampf amerikanischer Pornodarsteller, aus Angst vor Aids vor der Kamera jederzeit Kondome benutzen zu dürfen – was in Deutschland nicht der Fall ist. Hier wird meistens ohne Kondom gevögelt. Natürlich wurde dieser Beitrag auch bebildert. „Einem TV-Journal zur Sexualität Bilder von Sexualität zu untersagen“, findet Frings, „ist etwa so abwegig wie die Anweisung, daß in einem Naturfilm die Farbe Grün nicht auftauchen darf“.
Redaktionsleiterin Alexandra Montag vermutet, daß die Münchener Staatsanwaltschaft an der „Ideologie“ von „Liebe Sünde“ Anstoß genommen hat, die hinter den Sendungen stecken: „Wir berichten eben nicht mit hochgehaltenem Zeigefinger. Wir halten unsere Zuschauer nicht für dumm.“ Es sei doch absurd, wenn Matthias Frings nach einem Beitrag über Sadomaso-Sex moralinsauer seufzen würde: „Machen Sie so was ja nie!“
Die Macher von „Liebe Sünde“ produzieren wie gewohnt ihre Sendebeiträge – ohne Schere im Kopf. Kurz nach der Konfiszierung erwägten sie, eine ganze Sendung dem Thema Pornographie zu widmen, eine Art Talkshow mit Staatsanwalt Emrich etwa. Die Idee ließen sie aber schnell wieder fallen, denn, so Alexandra Montag: „Wir hätten ja nicht gewußt, wie wir das Thema illustrieren können.“ Thorsten Schmitz
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