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Stark wie der bayerische Löwe

■ Michael Knuth, 38, Sprecher der bayerischen IG Metall, über Forderungen der Arbeitgeber, Aussperrungen und Streiktaktik

taz: Herr Knuth, die Front des Arbeitgeberverbands bricht auf. Einige mittelständische Arbeitgeber signalisieren Verhandlungsbereitschaft. Musik in Ihren Ohren?

Michael Knuth: Wir wollen das nicht überbewerten. Wenn der Mindelheimer Flugzeugbauer Grob seine gesamte Belegschaft in den bezahlten Sonderurlaub schickt, hat das etwas mit seinen Streikerfahrungen als Jungunternehmer 1954 zu tun. Vor dem Werk kam es zu tumultartigen Szenen zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Nichtorganisierten.

Glauben Sie, daß ein Streik Langzeitwirkungen über 40 Jahre haben kann?

Nein. Aber mir ist auch das miese Betriebsklima in den Jahren danach in Erinnerung geblieben. Davor haben auch andere Unternehmer kleinerer Betriebe Angst. Die Leitungen der Firmen, die heute bestreikt werden, wollen keinen langen Arbeitskampf. Das moderne Management setzt auf Gruppenarbeit, und da braucht man eine Mann- und Frauschaft, die motiviert zusammenarbeitet.

Wenn es zu einer Spaltung der Arbeitgeber kommt, müßten Sie demnächst mit mehreren Arbeitgeberverbänden verhandeln.

Das wäre so, als wenn wir unterschiedliche Straßenverkehrsordnungen hätten. Wir haben kein Interesse daran, den Verband zu knacken – auch wenn es in der jetzigen Situation ein leichtes wäre. Wir wollen den Flächentarifvertrag behalten. Die Mittelständler dagegen wollen Tarifverträge mit Öffnungsklauseln, damit sie weniger Lohn zahlen müssen. Oder die sogenannte „Regionalisierung“ von Tarifverträgen. Das läuft wieder auf die unterschiedlich bezahlten Ortsklassen hinaus, die wir Anfang der siebziger Jahre mit gutem Grund abgeschafft haben.

Meinungsumfragen besagen, daß die Hälfte der Westdeutschen dennoch von den Gewerkschaften mehr Flexibilität will. Nach dem neuesten ZDF-Politbarometer finden nur 50 Prozent den derzeitigen Streik gut, 48 Prozent sind dezidiert dagegen. 62 Prozent plädieren für Samstagsarbeit und längere Maschinenlaufzeiten.

Umfragen sind so eine Sache. Diskussionen, wie sie bei uns geführt werden, eine andere. Vor der Urabstimmung waren nach Umfragen angeblich nur 40 Prozent der Befragten für den Streik, tatsächlich brachte die Abstimmung 88,36 Prozent.

Es braucht also nicht mehr Flexibilität?

Die Arbeitgeber schöpfen die Flexibilität, die der bestehende Tarifvertrag zuläßt, überhaupt nicht aus. Nehmen Sie Audi, BMW, VW, da gibt es 120 verschiedene Arbeitszeitmodelle in einem Betrieb. Man soll doch in der Öffentlichkeit nicht so tun, als würden alle um 7 Uhr ins Werk hineinrennen und um 15.30 Uhr wieder raus. Das stimmt einfach nicht. Es ist schon wahnsinnig viel flexibilisiert. Bei den Verhandlungen haben die Arbeitgeber nicht gesagt, was sie im einzelnen wollen. Wir selber haben vorgeschlagen, über Teilzeitarbeit zu sprechen. Ich bin 38 Jahre alt, ich habe als Familienvater mit zwei Kindern Interesse an ganz anderen Arbeitszeiten als mein Vater mit 60, der ein bißchen kürzer treten will. Warum nicht die Viertagewoche bei 35 Stunden? Die Maschinen laufen doch an den anderen Tagen weiter. Der Achtstundentag darf nicht angetastet werden. Über alles andere kann man reden.

Kommen jetzt Aussperrungen?

Dann wird's schlimm in der Republik. Beim letzten Streik 1984 lautete der Arbeitgeberbeschluß: Alle Betriebe, die mehr als 2.000 gewerbliche Mitarbeiter haben, müssen aussperren. Wenn Gesamtmetall heute auch die Mittelständler dazu bringen sollte, könnte diese Grenze etwa bei 1.000 liegen. In Bayern wären das nach unseren Informationen 41 Betriebe, mit 95.- bis 100.000 gewerblichen Arbeitnehmern, die heiß ausgesperrt würden. Das hätte zur Folge, daß andere Betriebe, Zulieferer etwa, ganz schnell betroffen wären. Rechnen wir das mal hoch: Da wären alle BMW- und alle Audi-Standorte dabei, alle Kugellagerhersteller. Diese Schweinfurter Betriebe beliefern wiederum alle Automobilbetriebe in ganz Deutschland. Die wären schlagartig lahmgelegt.

Was bedeutet das für die dortigen Beschäftigten?

Die sähen kein Geld. Das sind die sogenannten Fernwirkungen eines Arbeitskampfes. Nehmen wir die Subzulieferer hinzu, würden auf den Schlag 500.000 Menschen ohne Geld dastehen. Wie diese kalt Ausgesperrten reagieren werden – ich weiß es nicht.

Diese Wirkung vor Augen, läßt Sie gelassen streiken?

Aber die Arbeitgeber verursachen das doch. Und sie sind auch für die Auswirkungen verantwortlich. Sie werden sich ihre starre Position bis Donnerstag wohl überlegen müssen. Interview: Annette Rogalla

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