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Raubkopien fürs westliche Know-how

■ Schwarzdrucke ermöglichen Wissen zum Nulltarif / In China gilt die gelungene Nachahmung eines großen Meisters als ebenso wertvoll wie das Original

„Halt, da dürfen Sie nicht hineingehen!“ Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf die Person, die versucht hat, unauffällig in den Raum zu gelangen, über dessen Tür „neibu“ steht, „intern“. Doch die Verkäuferin des Buchladens bleibt streng: „Ausländer haben da keinen Zutritt.“

Es ist nicht lange her, da hatten in China alle Buchläden und Bibliotheken solche Räume, in denen Geheimnisvolles „nur für den internen Gebrauch“ versteckt wurde. Dabei handelte es sich aber keineswegs nur um sensible Betriebs- und Staatsgeheimnisse oder klassifizierte Dokumente der Partei. Und auch die Tatsache, daß die Schriftenreihen vieler Hochschulen und Akademien nur „intern“ publiziert wurden, ließ nicht darauf schließen, daß sie wissenschaftlich höchst bedeutsam oder politisch besonders heikel waren. Was nur „intern“ veröffentlicht wurde, mußte vielmehr nicht so strikter Kontrolle und Zensur vorgelegt werden.

Doch neben „internen“ wissenschaftlichen Abhandlungen fanden sich in den für Ausländer verbotenen Räumen chinesischer Buchhandlungen noch ganz andere Schätze: Romanübersetzungen, Lexika, Wörterbücher und Fachabhandlungen. Und alles zu relativ erschwinglichen Preisen – raubkopiert. Neben Nixons Memoiren fand sich beispielsweise die Werkausgabe Kafkas, und selbst amerikanische Handbücher und medizinische Fachliteratur fehlten im Angebot nicht.

Raubkopien und unautorisierte Übersetzungen waren für die meisten ChinesInnen der einzige Weg, Zugang zu den Werken ausländischer AutorInnen zu erhalten. Das 1.368 Seiten dicke „Concise Oxford Dictionary“ kostete 1980 umgerechnet etwa neun Mark – für chinesische StudentInnen damals gut ein Drittel ihres monatlichen Stipendiums. Selbst wenn das Originalwörterbuch in chinesischen Geschäften zu kaufen gewesen wäre, hätten sie es sich niemals leisten können. So war es auch bei der Musik: Beethoven oder andere ausländische Klassiker hörten sie erstmals von Kassetten, die schon vielfach kopiert und weitergereicht worden waren.

Nur durch „Öffnung und Reform“, predigten die Spitzen der chinesischen KP seit Ende der siebziger Jahre, könne es gelingen, das Land aus der Rückständigkeit zu befreien. Wirtschaftliche Stärke durch Modernisierung und Wissenschaftlichkeit, das wurde nach den Jahren der internationalen Isolierung zur patriotischen Pflicht. So werde China eines Tages wieder stolz und mächtig sein, hieß es – ein Land, auf dessen Stimme die Welt hören muß. Um dies zu erreichen, wurden StudentInnen und Wissenschaftler zur Ausbildung ins westliche Ausland geschickt. Chinesische Ingenieure hospitierten in ausländischen Firmen. Sonderwirtschaftszonen lockten Investoren an, die allein oder gemeinsam mit chinesischen Unternehmen in China produzierten und auf diesem Wege technisches Wissen vermitteln sollten.

Eben dieses technische Wissen hätten die ChinesInnen allerdings gerne umsonst erhalten. Schließlich boten sie ja im Gegenzug billige Arbeitskräfte, geringe Umweltschutzauflagen und Steuervorteile an. Doch sie mußten erkennen, daß ihre ausländischen Geschäftspartner anders dachten. Die wollten ihr technologisches Know- how keineswegs preisgeben und bestanden darauf, daß es ein wertvoller Teil dessen sei, was sie nach China mitbrachten. Know-how hatte seinen Preis, und der machte sich in barem Geld bemerkbar.

Als US-Präsident Clinton im Streit um die Urheberrechte mit Sanktionen drohte, tat er das nach verbreiteter chinesischer Meinung, weil die USA sich vor einem aufstrebenden China fürchteten. Deshalb, so meint man in Peking, wolle Washington um jeden Preis verhindern, daß sich China kostengünstig modernisieren kann.

Jedem Chinesen leuchtete auf Anhieb ein, daß es bei dem Konflikt mit den USA allein um die Frage geht, wer in den wirtschaftlichen Beziehungen den Ton angibt. Natürlich wissen auch chinesische Behörden um das internationale Urheberrecht. Und wahrscheinlich wollten sie dessen bare Abgeltung einfach nur so lange wie möglich hinauszögern. Beobachter gehen jedoch davon aus, daß es sich bei der ganzen Angelegenheit auch um ein „kulturelles Mißverständnis“ handeln könnte. Immerhin mißt der Westen geistiger Urheberschaft und Originalität eine ganz andere Bedeutung zu als in China üblich. Denn im Reich der Mitte gibt es eine Tradition der Kopie. Vor allem in der bildenden Kunst gilt dort die gelungene Nachahmung eines großen Meisters als ebenso wertvoll wie das Original.

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