Massenprotest gegen Milliardentunnel

18.000 Einwendungen gegen die Tiergartentunnel / 27 Millionen Kubikmeter Wasser werden abgepumpt / 70 Baudenkmale und 7.500 Bäume müssen leiden / Heute beginnt die Erörterung  ■ Von Dirk Wildt

Die größte Baustelle Europas entsteht ab November in Berlin: Dann hauen unzählige Bagger die Zähne ihrer Schaufeln in den Boden des Tiergartens und heben Gruben für einen Wirrwarr von Tunnelröhren aus. Wenn alles wie geplant läuft, rollen sie in acht Jahren wieder davon. Bis dahin wird aus dem Tiergarten mit 27 Millionen Kubikmetern mehr Wasser herausgepumpt worden sein, als die 3,5-Millionen-Metropole Berlin in einem Monat verbraucht. 2.500 ausgewachsene Bäume werden abgeholzt und mit acht Hektar soviel Fläche zubetoniert sein wie der gesamte Bezirk Schöneberg an Sportplätzen und Freibädern zu bieten hat (siehe Grafik).

18.000 Bürger, Organisationen und Verbände haben gegen diese Pläne Einspruch erhoben – nicht nur wegen der massiven Umweltzerstörungen, sondern auch weil sie neue Tunnel unter dem Tiergarten für Eisenbahn, U-Bahn und Autos für unsinnig halten. Ihre Bedenken werden ab heute von der zuständigen Behörde, der Verkehrsverwaltung, angehört. Doch die Verwaltung von Senator Herwig Haase (CDU) darf sich eigentlich von keinem Gegenargument überzeugen lassen oder Bedenken ernst nehmen. Wenn doch, käme es in dem enggezurrten Zeitplan zu Verzögerungen mit nicht abzusehenden Konsequenzen für Tunnel, Regierungsviertel und die Projekte von Daimler Benz, Sony sowie ABB am Potsdamer Platz.

Fünf Wochen zieht sich das sogenannte Erörterungsverfahren hin. Auf dem Prüfstand stehen der geplante Zentralbahnhof an der Lehrter Straße und der Fernbahntunnel unter dem Tiergarten, die beide den Schlüssel für ein neues Eisenbahnkreuz darstellen. Weiter wird der Sinn und die „Umweltverträglichkeit“ des Autotunnels hinterfragt, der einen Teil der Entlastungsstraße ersetzen soll, sowie Sinn und Unsinn des Tunnels für die U5, die den Lehrter Zentralbahnhof über die heutige Station Unter den Linden mit dem Alexanderplatz verbinden soll.

Zusammen mit den Baustellen für das Regierungsviertel im Spreebogen und für die „neue Stadt“ am Postdamer Platz werden in den kommenden Jahren aus Berlins Zentrum 18 Millionen Tonnen Boden und Bauabfälle wegtransportiert. Sollte diese Menge allein von Lastwagen bewältigt werden, würden die Lkw auf vier Spuren eine Schlange vom Brandenburger Tor bis nach Madrid bilden. Mit acht Millionen Tonnen Beton, sieben Millionen Tonnen Kies und Sand sowie einer Million Tonnen Zement muß noch einmal knapp die gleiche Menge in das Stadtinnere hereingebracht werden. Ein Großteil soll die Bahn zu den sogenannten Logistikzentren bringen, die sich im Süden auf dem Anhalter und dem Potsdamer Bahnhof in Kreuzberg sowie im Norden auf dem Hamburger und Lehrter Güterbahnhof in Tiergarten breitgemacht haben.

Die Spree, unter der der Eisenbahn-, der U-Bahn- und der Autotunnel auf einer Breite von 110 Metern verlaufen, muß während der Baurbeiten umgeleitet werden. Dort wo sich heute ihr Flußbett befindet, wird man künftig in tiefe, trockengelegte Baugruben blicken können. Der Fluß muß dafür nach Norden versetzt werden. Können die Gruben wieder geschlossen werden, wird die Spree wieder in ihre alte Lage geschoben.

Im Berliner Eisenbahnnetz wird vom nördlichen Eisenbahn-Innenring zum Prellerweg im Süden eine 9,5 Kilometer lange Nord-Süd- Achse hergestellt, die vom Gleisdreieck bis zum Lehrter Zentralbahnhof auf 3,3 Kilometer Länge unterirdisch verläuft. Unter dem Landwehrkanal und im Tiergarten südlich des Reichstags werden auf einer Länge von 1.300 Metern jeweils vier knapp 10 Meter dicke Röhren mit einer Art Riesenbohrer durch den Untergrund getrieben, so daß es hier keine Baugruben gibt. Diese vier eingleisigen Röhren liegen sieben bis fünfzehn Meter unter dem Erdboden, durch die pro Richtung mit 250 Zügen rund die doppelte Menge verkehren wird wie auf der in Ost-West- Richtung gelegenen Stadtbahn. Der Lehrter Zentralbahnhof soll 16 Millionen Reisende bewältigen, mehr als dann Hauptbahnhof und Zoo sowie die neuen Fernbahnhöfe Gesundbrunnen und Spandau zusammen.

Mit 1,9 Kilometer Länge zählt der Tunnel für die U5 zu dem kürzesten Projekt. Am Reichstag wird eine neue U-Bahn-Station gebaut. Die Autoröhre frißt sich zweispurig nahe dem Lehrter Bahnhof an der Heidestraße und zweispurig von der Invalidenstraße in die Tiefe, quert die Spree und kommt zum ersten Mal direkt am Rand des Tiergartens am Kemperplatz an die Oberfläche, frißt sich aber mit zwei Spuren weiter unter der Stadt hindurch zum Potsdamer Platz, unter dem Daimler Benz und Sony eigene Zufahrten erhalten, und endet nördlich des Landwehrkanals. In dem 730 Millionen Mark teuren Bauwerk – das ist heute schon klar – werden sich täglich an die 60.000 Kraftfahrzeuge stauen, derenn Abgase durch jeweils einen Schornstein im Daimler-Benz-Bau (haha!) und im Lehrter Zentralbahnhof in die Stadtluft geblasen werden. Alle Tunnel zusammen kosten Bahn-AG, das Land Berlin und den Bund 4,5 Milliarden Mark.

Von den Bauarbeiten und insbesondere von nicht beabsichtigten Grundwasserabsenkungen sind 7.500 ausgewachsene Bäume und 70 Baudenkmäler wie der Große Tiergarten, das Südgelände Lindenallee, die Stadtbahnviadukte, das Zellengefängnis, der Reichstag und das Weinhaus Huth betroffen. 2.500 ausgewachsene Bäume und 670.000 Kubikmeter Grünpflanzen fallen der Motorsäge zum Opfer, die durch 12.000 Bäumchen und 700.000 Kubikmeter Pflanzen ersetzt werden sollen. Acht Hektar Boden werden planiert und bebaut, die Hälfte dessen soll an anderer Stelle – etwa in Hinterhöfen von Wohnhäusern – als Grün- und Freifläche wiederhergestellt werden.