: Die Hetze verebbt, die Gesinnung bleibt
■ Der Brandenburger Verfassungsschützer Wolfgang Pfaff zum Rückgang rechtsextremer Straftaten und zum ansteigenden Antisemitismus / Propagandadelikte nehmen zu
Wenn sie die Zahlen rechtsextremer Gewalttaten vermelden, atmen Innenpolitiker neuerdings auf. Sie zählen erheblich weniger Brandanschläge, Körperverletzungen und andere Gewalttaten. Alwin Ziel, SPD-Innenminister von Brandenburg, teilte am Wochenende mit, rechtsorientierte und fremdenfeindliche Straftaten seien 1994 im Vergleich zum Vorjahr um ein Drittel zurückgegangen. Gleichzeitig stieg die Aufklärungsquote von 37 auf 56 Prozent. Solche Zahlenwerke rufen beim Leiter des brandenburgischen Verfassungsschutzes, Wolfgang Pfaff (SPD), verhaltene Reaktionen hervor.
taz: Herr Pfaff, im Vergleich zu 1993 ging die Anzahl fremdenfeindlicher Straftaten 1994 bundesweit deutlich zurück. In Brandenburg wurde 1994 kein Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim registriert, 1993 waren es zwölf. Andererseits nehmen antisemitische Straftaten sprunghaft zu. 1994 zählten Sie in Brandenburg 436mal das Verbreiten von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger Gruppen. Verlagert die rechte Szene ihr Agitationsfeld?
Wolfgang Pfaff: Auch in Brandenburg gingen fremdenfeindliche Straftaten erheblich zurück. Insofern gibt es Grund für verhaltenen Optimismus. Aber Entwarnung würde ich nicht geben wollen. Für die nächsten zwei bis drei Jahre wird die Bekämpfung des Rechtsextremismus allererste Aufgabe des Verfassungsschutzes sein.
Der Szene fehlt der Rückhalt in der Bevölkerung?
Sicher hat es in der Vergangenheit junge Gewalttäter gegeben, die sich durch die Asyldiskussion irrtümlich als Exekutoren einer ausländerfeindlichen Volksmeinung wähnten und deshalb auch die Asylbewerberheime angegriffen haben. Spätestens die Lichterketten haben diese Verblendeten erfahren lassen, daß Ausländerhaß von der Mehrheit der Deutschen abgelehnt wird. Das Ergebnis: Die Überfälle auf Asylbewerberheime sind überproportional zurückgegangen. Das heißt aber nicht, daß die fremdenfeindliche Einstellung bei den Extremisten schlechthin zurückgeht. Sie entlädt sich nur nicht mehr so häufig in Gewalt.
Woher kommt die Lust auf antisemitische Hetze?
Leute, die vorher mal gerne zuschlugen, überlegen sich das heute. Viele von ihnen schmieren jetzt Parolen an die Wände. Das erklärt den Anstieg dieser Zahlen. Gleichzeitig reagieren Bevölkerung und Polizei sensibler auf solche Schmierereien. Es wird mehr angezeigt, und dementsprechend zählt die Polizei auch mehr solcher Delikte. Außerdem beobachten wir, daß einige Altnazis regelrecht kampagnenmäßig Öffentlichkeit und Privatpersonen mit Hetzschriften eindecken. Die Initiatoren wohnen meist nicht in Brandenburg. Daraus können wir aber nicht folgern, daß der Antisemitismus qualitativ zunimmt.
Was geben die Statistiken konkret her? Schon allein die Kriterien für „rechtsextrem“ differieren unter den Verfassungsschutzbehörden.
Immer wieder geht es um die Frage, wann eine Straftat als rechtsextremistisch einzustufen ist. Ist sie es, wenn man die Motivation der Täter kennt? Um das festzustellen, muß ich erstens den Täter ermittelt und zweitens vernommen haben. Oder läßt sich schon aus dem Hergang der Tat, aus dem Angriffsziel etwa, schließen, daß sie mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtsextremistisch motiviert war? Über die Anwendung dieser Kriterien diskutieren die Sicherheitsbehörden seit einiger Zeit. Man kann aber aus allen Statistiken einen gemeinsamen Trend ablesen. Nur, auf Zahlen verlassen wir uns nicht. Wir schöpfen aus anderen Quellen unsere Erkenntnisse.
Ihr Hamburger Kollege Ernst Uhrlau beklagt, daß Neonazis selbstbewußt moderne Informationstechniken wie Funktelefon und Computernetze nutzen und Verfassungsschützer deshalb kaum noch an Informationen herankommen.
Uhrlau hat durchaus recht. Punktuell haben wir auch Schwierigkeiten, wenn Neonazis ihre Aufmärsche mittels Funktelefon organisieren. Aber über Datenbanken und Mailboxen kommunizieren jedenfalls in Brandenburg nur wenige miteinander. Deshalb aber haben wir die Sache noch nicht in Griff. Trotzdem müssen wir sehr wachsam sein. Interview: Annette Rogalla
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