Wichtiger als Sex

■ Die Päpste des 16. Jahrhunderts wußten nicht, was sie taten, als sie Schokolade als Buße zur Fastenzeit empfahlen

Die Hälfte aller Frauen finden Schokolade wichtiger als Sex – will zumindest die Autorin des brandneuen Buches „Frauen brauchen Schokolade“ wissen. Die Gründe sind einleuchtend. Schokolade schmeckt nicht nur zum Verlieben; sie enthält zudem Phenylethylamin, einen Stoff, wie ihn das Hirn sonst nur im Zustand hochgradigen Verliebtseins produziert.

Die spanischen Señoras im gerade eroberten Mexiko litten womöglich Mangel an geschlechtlichen Freuden und stiegen zum Ausgleich auf ein Getränk der Mayas um: Xocoatl. Gleich nach der Messe, überliefern die Chronisten, ließen sie es sich noch in der Kirche dampfend servieren. Auch anderswo hatte man dergleichen bitter nötig: in den Klöstern.

Aber just zu dieser Zeit, Mitte des 16. Jahrhunderts, beschloß das päpstliche Konzil von Trient strengere Fastenvorschriften. Die mexikanische Schokoladenschlemmerei ließ strenge Sittenwächter nicht ruhen. Nun geschah etwas Ungewöhnliches: Die katholische Kirche löste einen Dogmenstreit durch empirische Methoden. Der mexikanische Gesandte im Vatikan ließ dem Papst eine Tasse Kakao bereiten – und ließ bloß den Zucker weg. Pius V. schüttelte sich vor Ekel und sprach die denkwürdigen Worte: „Schokolade bricht das Fasten nicht.“ Ein so bitteres Getränk könne er der ganzen Christenheit gar wärmstens empfehlen, als Buße in der Fastenzeit.

Die Engländer, die sich um päpstliche Dogmen bekanntlich nicht scheren, waren anderer Meinung. Puritanisch streng verurteilte die Church of England Schokoladengenuß als unmoralisch. Nun ist aber, wie uns der Soziologe Max Weber schlüssig darlegte, industrielle Entwicklung ein Produkt protestantischer Ethik. In England jedoch hatte die Schokoladenindustrie keine Chance. Wo aber trifft sich protestantischer Erwerbstrieb mit katholischer Lebenfreude aufs bekömmlichste? Natürlich im Land der Herren Cailler, Suchard, Nestlé, Lindt und Sprüngli... Nicola Liebert