: Wir leben im Paradies
■ Stadtforum: Verkehrslawine steht Berlin erst noch bevor, sagt Umweltstaatssekretär Wicke / Gebühr für Stadt-Fahrten
Düstere Vorahnungen, wie dreckig die Berliner Luft in ein paar Jahren sein wird, äußerten am Wochenende Politiker und Wissenschaftler bei der 46. Sitzung des Stadtforums. Drei Wochen vor Beginn des UNO-Klimagipfels in Berlin waren sich die Experten einig: Der Autoverkehr wird Berlins Hauptproblem.
Umweltstaatssekretär Lutz Wicke (CDU) sagte einen Anstieg des autobedingten Kohlendioxidausstoßes um 80 Prozent bevor. Bis zum Jahr 2010 werde sich die innerstädtische Fahrleistung verdoppeln. Im gleichen Zeitraum muß Berlin seinen Gesamtausstoß eigentlich halbieren, will die Landesregierung ihrer Selbstverpflichtung nachkommen, die aus dem Beitritt Berlins zum Klimabündnis der europäischen Kommunen mit den Regenwaldvölkern resultiert.
„Zur Zeit fahren pro Werktag eine halbe Million Autos in die Innenstadt“, legte Verkehrsplaner Manfred Garben von der Gesellschaft für Informatik, Verkehrs- und Umweltplanung (IVU) dar: Eine weitere halbe Million werde innerhalb der Innenstadt gefahren – vorwiegend von Bewohnern des Zentrums, die dort auch arbeiten, aber dennoch das Auto benutzen. Und noch einmal 160.000 Autos durchfahren die City an den Werktagen.
Wenig Hoffnung auf Besserung hat Wicke, da die Zahl der Autos pro 1.000 Einwohner mit 315 unter dem Durchschnitt der alten Bundesländer (340) und erst recht der Großstädte liege: „In München kommen 600 Autos auf 1.000 Einwohner, wir leben vergleichsweise im Autofahrer-Paradies.“ Der Verkehr werde selbst bei Durchsetzung massiver Restriktionen um 30 Prozent ansteigen.
Doch statt an Lösungen zu arbeiten, sei die Verkehrsdiskussion gelähmt, so Wicke, da weder die Auto-Lobby noch die Lobby für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) „von ihren extremen Positionen abrückt“. Er schlug ein Umweltforum „Verkehr“ vor, das Konsens anstreben müsse. Als positives Beispiel nannte er das Verkehrskonzept Stockholms, das einen solchen Kompromiß darstelle: „Der unvermeidbare Autoverkehr wurde auf die Hauptstraßen konzentriert“, von einer Benutzungsgebühr werde der Straßenbau finanziert; „daher können sich Stadt und Zentralregierung ganz dem Ausbau des ÖPNV widmen“.
Daß Berliner künftig rund 3,20 Mark pro Fahrt in die Innenstadt zahlen müßten, wie dies in Stockholm eingeführt wurde, bezeichnete Wicke als richtig: „Der umweltunfreundliche Verkehr muß den umweltfreundlichen mit finanzieren.“ Zustimmung fand dieser Vorschlag bei IVU-Referent Garben: „Eine Gebühr kann den Innenstadtverkehr um ein Drittel senken.“ Allerdings müsse eine solche Idee mit anderen verknüpft werden, warb er für „Maßnahmenbündel“. Bei Einzelschritten wie der ab heute gültigen Parkraumbewirtschaftung „bin ich sehr, sehr skeptisch, ob das Ziel erreicht und Verkehr reduziert wird“. Christian Arns
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