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Schmerzensmutter, platingefaßt

Eucharistie des Beziehungshorrors bei PJ Harvey. Ein Beitrag zum Internationalen Frauentag  ■ Von Anke Westphal

Über Polly Jean Harvey ist (fast) alles geschrieben. Das macht es leicht, sich in den Kreis der „rezeptiven Mißverständnisse“ (Harvey) einzuklinken, der jenen Kreis, den Pollys Songs beschreiben, wiederholt. Oder auch nicht.

„Dry“ (1992), die „PJ Harvey. 4-Track-Demos“ (1992) und „Rid Of Me“ (1993) brachten die Stimme des ungeläuterten Schmerzes zu denen, deren Wunden nicht heilen wollten oder sollten und die also bereit waren, zu empfangen. PJ Harvey nicht schnöde zu hören, sondern zu lieben, ist der Gottesdienst aller verzweifelt Liebenden, Polly Jean – die Eucharistie des Beziehungshorrors.

Nach der „Dry“-Tour holte Pollys Mutter ein Bündel Mensch, das nicht mehr fähig war, aufs Klo zu gehen und sich zu waschen, aus dem Moloch London ins heimatliche Dorset zurück. Häuschen an der Küste, leichte Gartenarbeit. Der Rückzug auf Familie und Überschaubarkeit ist hin und wieder nicht nur die einzig mögliche, sondern auch intelligenteste Form des Fortschritts. Wer gibt das schon zu? Polly did.

Doch Phönix, einst stolz auf den strengen Haarknoten und die unrasierten Achseln im Trägershirt, stieg für das jüngste Album „To Bring You My Love“ im roten Abendkleid, mit wallenden schwarzen Locken und offensivem Lippenstift aus der Asche. Und die Medien interpretieren artig: „Miss Molotov-Cocktail“ (New Musical Express) mutiert plötzlich zur „Chanteuse“ und „begnadeten Songwriterin“ (Spex, Rolling Stone) – Verrat am ehrlichen Schweiß oder eher „Irritation des Künstlermodells auf neuer Stufe“?

Kritische Poptheoretiker haben, wenn sie eine im Interview- Promotion-Marathon zusammengebrochene Polly Jean ganz gern und partiell als Schlachtvieh im Musikzirkus betrachten, den Fall längst neben der Diskette mit der Dissertation im Rucksack verstaut. Andere, poptheoretisch Unbefangene, sagen einfach: „O, sie hat wohl einen Entschluß gefaßt!“ Warum soll frau in der Hölle nicht mal was anderes anziehen? Den unfröhlichen Ort mit Postkarten vom Abgrund tapezieren – um vorerst doch dort wohnen zu bleiben?

Medien-Overkill hin oder her: „To Bring You My Love“ kommt einem grandios vor, volle Kanne eigensinnig und doch Zeitgeist, kurzum so was wie „Pulp Fiction“ im Popsongbereich. Vom „Kollektiv“ Band muß keine Rede mehr sein, das Album dient einzig als Vehikel für Polly Jeans vokale Galavorstellung. Singen, Orgel, chinesische Glöckchen, Gitarre, Piano – alles selbstgemacht.

So weit, so wunderbar. Immer noch reist Polly durch die Wüste, über trockene Erde und wilde Wasser. Immer noch bedeutet „what a lover“ „what a fight“, und auch nicht überraschend sind Zeilen wie „O help me Jesus“, „Jesus come closer“ oder „let me ride / on his grace / for a while“.

Religiös? Na ja. Bißchen doppeldeutig eher, rein gar nichts dran auszusetzen, denn Jesus könnte ja einfach unser Mann mit dem kochenden Blut in Havanna sein und nicht zwingend die „höhere Instanz“. Nach der ersten Runde unter Kopfhörern möchte man „To Bring You My Love“ nie wieder hergeben. Nach der zweiten würde man die Platte dann schon ohne Sentimentalitäten verleihen. Nach der dritten findet man sie immer noch besser als alles, was einem so täglich ins Ohr fällt. Irgend etwas, die Perfektion mal beiseite, paßt immer noch nicht. Vielleicht so: Das blutig Herbe hat die Dornenkrone ans eingängig Herbe übergeben.

O neue Polly, die mit den vielen Vokaleffekten, schwer, dumpf, kehlig, energetisch, böse, dann mal mädchenhaft. Die Stimme von „To Bring You My Love“, etliche Oktaven tiefer als auf den Vorläuferalben, durch ein Taschentuch vor dem Mikro gefiltert und durch den Verstärker geschickt.

Das klingt tatsächlich wie Uterus an Kopf – das gibt es, liebe linke Spießer, und es muß nicht gleich „konservativer Feminismus“ sein. Wer von „Menstruationsmystizismus“ redet, hat nie erlebt, daß der Körper Verstand und Willen durchaus alle 28 Tage zum Kasperle machen kann – wenn auch nicht muß.

Rein gar nichts auszusetzen an Pollys „Attitude“. Die Musik also: Ein Restbestand an Feedbacks, die Bassläufe sind neuerdings aus dem Keyboard gezogen, permanent wird von der Orgel geheiligt, dazu akustische Gitarre. Und dann die Gegenläufigkeit von Violinen, Cello und Stimme, diese Streicherarrangements, die zu einem Drittel vom Folk und zu zweien vom Minimalismus geborgt sind. Gospel? Na, in der Kirche sitzt mindestens ein Spanish Sailor.

„Teclo“ wiederum, nicht das einzige Stück mit blankem Gothic- Pathos, läßt Glas tanzen – nie war Polly Jean näher dran an Patti Smith als hier, nicht unbedingt ein Kompliment. In einem Song mit dem Gender-bender-Titel „I Think I'm A Mother“ maskulinisiert sie, auch bezeichnend, ihre Stimme mittels Verstärker. Nicht besonders subtil oder innovativ die Idee und Methode, auch kein Kompliment. The Big Issue: Es geht immer noch und wieder, halbwegs linear, um das Four-Letter-Word, weil man an Liebe nun mal wirklich sterben kann, aber wenn Polly ihr „I love you endlessly“ intoniert, kann niemand behaupten, daß ihren Songs ein Hackebeilchen voll Ironie fehlt. Wer würde schon erwarten, daß es bei Polly so richtig lustig zugeht?

Und auch die permanente, wenngleich modifizierte Wiederholung des Lamento Of Love ist in Ordnung. Das würdigt man sonst als Stil, und wer würde ernstlich wollen, daß das „Modell Polly“ ihren Stil jede Saison wechselt? Trotzdem, man trauert den von keinem Albumkonzept gekitteten, musikalischen Brüchen, dem in Fetzen rausgekotzten Schmerz hinterher, auch wenn einem inzwischen die halbakustischen Songs der „begnadeten Songwriterin“ am besten gefallen. „C'mon Billy“ und „Send His Love To Me“.

Vielleicht liegt es daran, daß alle älter werden: Polly Jean, you and me. Polly kann nichts dafür. Sie sagte, sie möchte auch mal was anderes machen als Musik, später vielleicht eine Familie gründen. Rein gar nichts dran auszusetzen, im Gegenteil, man applaudiert herzlich. Man kann diese Worte einer Frau, die sich als Diva neu erfunden hat, nur nicht so richtig glauben. Was vermutlich auch an einem gewissen Spießertum unsererseits liegt.

PJ Harvey: „To Bring You My Love“. Island/Mercury.

Ursprünglich als Support-Act der REM-Tour vorgesehen, wird PJ Harvey nunmehr Anfang April einzelne Konzerte in Deutschland spielen.

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