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Keineswegs eine weiße Weste

Lebenslügen – Eine Hamburger Ausstellung zu Wehrmachtsverbrechen  ■ Von Christian Semler

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Das letzte Aufgebot der Nazis „für die Verteidigung von Volk und Heimat“, der Hitlerjugend- Jahrgang 1929, geht jetzt in Rente. Zusammen mit den Erfahrungen von Hunger und Obdachlosigkeit verschwindet auch der Krieg aus dem „Gespräch der Generationen“. Noch bevor die Studentenrevolte mit ihrem Gestus auftrumpfender Moralität der Vätergeneration den Mund verschloß, war, was vom Krieg, zumal dem an der Ostfront, zu hören war, zurechtgebogen, selektiv. Zufällige Begegnungen, beim Trampen, beim Jobben in den Semesterferien, förderten die stets gleichen Namen und Stereotypen zutage: Woronesch, Kriwoj Rog, Stalingrad. Die Kesselschlachten. Unendliche Weite, elende Lebensverhältnisse. „Der Russki“, verlottert, besoffen, gutmütig, anspruchslos, zäh, grausam, kinderlieb. Der T-34, lief immer noch, wenn unser Königstiger längst krepiert war. Die schnell transportierbare, furchtbar effektive Stalinorgel. „Erst haben wir ausgeteilt, dann haben wir bezahlt. Jetzt sind wir quitt.“ Massenerschießungen, Niederbrennen von Dörfern? Nie davon gehört.

Allein der historische Schnittpunkt, wo die Zeitzeugen sich verabschieden, wo das „Generationengedächtnis“ abgelöst wird durch Unterrichtsmaterialien, rechtfertigt den groß angelegten Versuch des Hamburger Instituts für Sozialforschung, den Feldzug der Deutschen im Osten und Südosten Europas als das zu kennzeichnen, was er wirklich war: als Vernichtungskrieg. Als ein Unternehmen, das jenseits „klassischer“ Kriegsziele auf die Ausrottung und Versklavung ganzer Völker losging. Wo von Anfang an kraft Anordnung der Wehrmachts-Führung das Kriegsvölkerrecht nicht mehr galt; wo im ersten, siegreichen Jahr Millionen von Kriegsgefangenen dem Tod durch Hunger und Seuchen preisgegeben wurden; wo die Wehrmacht Logistik, technisch-administrative Hilfe und nicht selten auch Exekutionskommandos für den Mord an den Juden bereitstellte.

Kritische GeschichtswissenschaftlerInnen, sogar solche im Sold der Bundeswehr, haben seit den 60er Jahren die Lebenslüge der Kriegsgeneration, „ihre“ Wehrmacht sei aus dem Inferno mit sauberen Händen hervorgegangen, zunichte gemacht. Aber die Anstrengungen des Hamburger Instituts sind damit nicht überflüssig. Wie die am letzten Sonntag auf dem Kampnagel eröffnete Ausstellung zu den Kriegsverbrechen der Wehrmacht im Osten erweist, sind wir immer noch weit von der Erschließung der Quellen entfernt. Es ist den Hamburger WissenschaftlerInnen um Hannes Heer und Klaus Naumann gelungen, bisher nicht veröffentlichte Fotos auszustellen, die die unmittelbare Mitwirkung von Wehrmacht-Soldaten an Massenexekutionen, an Terroraktionen gegen die Zivilbevölkerung zeigen. Mehr noch als die „kriminalistische“ Arbeit der Aussteller beeindruckt bei einigen dieser Aufnahmen die Fühllosigkeit und der Mangel an jedem Unrechtsbewußtsein, die aus den Gesichtern der Soldaten sprechen. Die Aussteller haben zu verbrecherischen Befehlen des Oberkommandos Zitate aus Feldpostbriefen gestellt. Die Auswahl ist nicht einseitig. Dennoch drängt sich der Eindruck auf, daß zwischen den Landsern und ihrem obersten Kriegsherrn Übereinstimmung bestand, Menschen wie Ungeziefer zu traktieren.

Die Ausstellung exemplifiziert die „Verstrickung“ der Wehrmacht in Kriegsverbrechen an drei Beispielen: dem Frontabschnitt Weißrußland (weite Teile des Gebiets blieben während der ganzen Okkupation unter Wehrmachts- Kontrolle; die Beteiligung der Wehrmacht am Holocaust ist völlig unbestreitbar), dem Jugoslawien-Feldzug (Massenmorde an der Zivilbevölkerung unter dem Vorwand der Partisanenbekämpfung) und dem Operationsgebiet der 6. Armee (hier geschah unter Armeebeteiligung das Massaker von Babiy Jar). Dieses Verfahren erlaubt die Präsentation von Fakten im Zusammenhang. Sie schneidet einer Apologie den Weg ab, die mit dem Hinweis auf bedauerliche Einzelfälle die Unschuld des großen Ganzen behauptet.

Wichtiger noch als das Anschauungsmaterial ist in der Ausstellung der interpretierende Rahmen. Die Soldaten der Wehrmacht hatten zwar sieben Jahre Herrenmenschenideologie hinter sich, aber aufs Abschlachten unbewaffneter Zivilisten mußten sie doch noch „eingestimmt“ werden. Dies geschah mittels eines Codes, der Unbeteiligte als Kriegsteilnehmer identifizierte. Zuerst wurden die Juden per se zu Partisanen erklärt, dann die Zivilbevölkerung ganzer Landstriche. Zigeuner wurden zum getarnten Nachrichtendienst des Feindes erklärt, Kinder und Frauen als Spione und Diversanten der Bolschewiki ausgemacht. Die Morde waren also Vergeltungsmaßnahmen, und sie waren Rechtens. Gleichzeitig vertuschte die Wehrmachts-Führung durch Sprachregelungen den systematischen Charakter der Ausrottung. Die Zensur sorgte dafür, daß allzu leichtfertige Prahlereien mit Mordtaten, etwa in Feldpostbriefen, unterblieben. Schließlich versuchte die Wehrmacht, die drohende Niederlage vor Augen, die Spuren ihrer Untaten zu verwischen. Zusammengenommen erwiesen sich diese Operationen als erfolgreich – bis in unsere Tage.

Nicht die Ausstellung, wohl aber der Begleitband müht sich, ein Bild des Vernichtungskriegs zu entwerfen, das die bisher vernachlässigten Dimensionen des Sozialen, Psychologischen und Kulturellen in die militärgeschichtliche Forschung einbringt. In der Armee als geschlossenem, hierarchischem Raum mußten sich die Vorurteile potenzieren, die das Rußlandbild der deutschen Eliten prägten. Hier trifft sich die Arbeit des Instituts mit neuen Forschungsansätzen, wie sie in Volkmanns Sammelband „Das Rußlandbild im Dritten Reich“ von 1994 nachzulesen sind.

Zu Recht beharren die Hamburger Wissenschaftler auf der „Singularität“ des deutschen Ausrottungs- und Versklavungsfeldzugs. Hannes Heer ging (in der Zeit vom 3. März) auch nicht auf das Angebot Helmut Schmidts ein, alles untergehen zu lassen in allgemeiner Kriegsbarbarei. Manche Indizien, wie die allzu sorglose Übernahme sowjetischer Ermittlungsergebnisse (z.B. im Rahmen der „Minsker Prozesse“), deuten allerdings darauf hin, daß den Ausstellungsmachern nicht genügend bewußt war, welcher Art das Herrschaftssystem in der Sowjetunion vor und nach der Nazi-Okkupation war. Darüber wird weiter zu rechten sein – ohne jede Relativierung.

„Vernichtungskrieg. Die Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1945“. Hamburger Kampnagel bis 15. April. Begleitband 68 DM.

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