■ Abschiebestopp für Kurden – Poker um Zeit: Zukunft im Zweiwochentakt
Das zeitliche Zusammentreffen der beiden Ereignisse war rein zufällig und doch bezeichnend: am Montag bestätigt das Außenministerium Berichte über umfangreiche (Auf-)Rüstungshilfen an die Türkei. 150 Millionen Mark sollen für türkische Kriegsschiffe fließen. Am gleichen Tag kann sich eine Runde aus Innenministern von Bund und Ländern erneut nicht darauf verständigen, ob eben jene Türkei so demokratisch und menschenrechtsfreundlich ist, daß man ihr außer Schießgerät auch etwas anderes liefern darf: Kurden, die in Deutschland Schutz gesucht haben. Daß das eine mit dem anderen etwas zu tun haben könnte? Da seien die abgezirkelten Bonner Schrebergärten davor!
Über die Rüstungslieferung wird der Haushaltsausschuß des Bundestages entscheiden, und über die Auslieferung der Menschen berät dann – hübsch getrennt – der Innenausschuß. Der hat am 15. März Menschenrechtsexperten und Türkeikenner zur Anhörung geladen. Doch neue Entscheidungsgrundlagen sind von diesem Treffen kaum zu erwarten. Die Fronten sind längst festgeklopft. Zu deutlich hat Innenminister Kanther signalisiert, daß er diesen Termin nur aus parlamentarischem Anstand über sich ergehen läßt, bevor er – noch am selben Tag – die Schonfrist für Kurden ablaufen läßt.
Was dann passiert? Weil sie sich gegen den Bundesminister und zwei christdemokratische Länderkollegen nicht durchsetzen können, werden die Innenminister der sozialdemokratisch regierten Länder notgedrungen um weiteren Aufschub pokern. Zuerst wird man sich eine Frist erbeten, um die Expertentagung in Ruhe auszuwerten. Dann wird das spitzfindige juristische Streiten beginnen: dürfen die Länder noch einmal in Eigenregie einen Abschiebestopp verhängen oder nicht? Für die betroffenen Kurden, die ihre Zukunft seit Monaten nur im 14-Tage-Takt planen können, wird das Ganze zum unerträglichen Spiel auf Zeit.
Dieses unwürdige Spiel könnte nur durch eine Gesetzesinitiative beendet werden, wie Schleswig-Holstein sie jetzt auf den Weg gebracht hat: ein Gesetzentwurf soll endlich die undemokratische Regelung des Ausländerrechts revidieren, wonach ein Abschiebestopp der Länder am Veto des Bundesinnenministers scheitern kann. Und der Kieler Vorstoß soll Schluß machen mit dem Unding, daß ein CDU-Innenminister von Sachsen, wo vielleicht zwanzig von Abschiebung bedrohte Kurden leben, den Abschiebestopp für tausend Betroffene in Nordrhein-Westfalen aushebeln kann. Der Streit um die Zukunft der Kurden hat jetzt zwar die längst überfällige Änderung dieses Verfahrens in Gang gebracht. Für die Betroffenen ist das wenig tröstlich: bis ein solcher Gesetzentwurf über die parlamentarischen Hürden gestolpert ist, ist es für sie viel zu spät Vera Gaserow
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