: Eine patriotische Pflicht
In China ist die Vorbereitung der Weltfrauenkonferenz zur nationalen Aufgabe erklärt worden. Sogar offizielle Konferenzlieder gibt es bereits ■ Von Jutta Lietsch
Hell strahlt das neugebaute Hauptquartier des Allchinesischen Frauenverbandes an der Jianguomen-Straße. Eine Adresse in bester Lage: Chinas Akademie der Sozialwissenschaften, das Diplomatenviertel, Ministerien, Sicherheitsdienst, Hotel- und Geschäftshochhäuser säumen den Boulevard im Herzen Pekings. Große Poster, bunte Wimpel und Parolen verkünden, daß China sich mit ganzem Herzen und aller Kraft auf die Vierte Weltfrauenkonferenz vorbereitet, die im September in Peking stattfinden soll.
30.000 Besucherinnen werden zu der Mammutveranstaltung erwartet, die aus dem Treffen der Regierungsdelegationen und der Konferenz der „regierungsunabhängigen“ Organisationen (NGOs) besteht. „Du kommst aus Asien, Europa, Afrika, Amerika und Ozeanien, bringst mit dir die Wärme der weiblichen Liebe für die Menschheit, ganz gleich wie viele Berge und Flüsse du überquert hast. Wir leben alle in derselben Welt ... wir haben ein gemeinsames Anliegen“, heißt es in einem der offiziellen Konferenzlieder, die das chinesische Kulturministerium vor wenigen Tagen der Öffentlichkeit vorgestellt hat.
Nach der Schmach, die nicht nur die chinesische Führung, sondern auch ein großer Teil der Bevölkerung ob der gescheiterten Olympia-2000-Bewerbung empfand, bietet die UNO-Frauenkonferenz endlich Gelegenheit zur Genugtuung. China wieder „Gesicht zu geben“ ist in den Augen der Politiker in Peking die wichtigste Aufgabe der Veranstaltung. Ihre erfolgreiche Durchführung ist zur patriotischen Pflicht geworden.
So ist die Vorbereitung der Hauptkonferenz ebenso wie der sie begleitenden NGO-Treffen in die Hände hochrangiger Politiker gelegt worden, wurden spezielle Regierungskommissionen eingerichtet (siehe nebenstehendes Interview). In den vergangenen Jahren wurden neue Regelungen und Gesetze zum „Schutz der Interessen von Frauen und Kindern“ erlassen, die ihr Recht auf Zugang zu Bildung, Beruf und politischen Ämtern verbessern sollen. Im Juni 1994 veröffentlichte die Regierung ein „Weißbuch zur Situation der Frauen in China“, das die historische Rolle der Partei bei der Befreiung der Frauen in China hervorhebt und die Gleichberechtigung der Frauen in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik postuliert. Daß es weiterhin in all diesen Bereichen massive Probleme gibt, wird leise angedeutet. Die andauernde Diskriminierung von Frauen in Politik, Bildung, auf dem Arbeitsmarkt und in Zusammenhang mit der Geburtenkontrolle ist schließlich auch in China zu offensichtlich.
Für die Organisation der NGO- Aktivitäten ist der chinesische Nationale Frauenverband zuständig, der – wie in allen sozialistischen Staaten – offiziell kein Regierungs- oder Parteiorgan ist. Als „Massenorganisation“ (wie es Gewerkschaft und Jugendliga sind) soll sie vielmehr zwischen den Interessen der Frauen und der Partei vermitteln.
Angesichts der in den achtziger Jahren mit den Wirtschaftsreformen einhergehenden Entlassungswelle aus staatlichen Betrieben und Institutionen hieß die Parole des Frauenverbandes: „Die Qualität der Frauen erhöhen!“ – womit gemeint war, daß sie sich besser ausbilden sollten, um vor der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt bestehen zu können. Gleichzeitig sangen seine Vertreterinnen das Loblied auf die „tugendhafte Ehefrau und gute Mutter“, die ihren Job zum jahrelangen Erziehungsurlaub verläßt und den Arbeitsmarkt damit zugunsten des Gemeinwohls entlastet.
So oder so: es hört eigentlich keiner zu. Der Frauenverband galt – und gilt bis heute – den meisten Politikern als ein politisch korrektes, praktisch aber weitgehend einfluß- und nutzloses Beiwerk des von der Partei geschaffenen Systems. Und diese Einschätzung ist auch in der Bevölkerung weit verbreitet.
Gerade diese Geringschätzung von allem, was mit „Frauenfragen, Gleichberechtigung, Emanzipation“ zu tun hat, erwies sich aber in den letzten Jahren auch als Chance: Anders als zum Beispiel bei den Gewerkschaften, wo die Regierung jeden Ansatz unabhängiger Debatte oder gar autonomer Arbeiterorganisation aufs schärfste verfolgt, konnte sich in aller Stille eine kleine, unabhängige „Frauenöffentlichkeit“ entwickeln. Interessierte Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen und Frauen anderer Berufe begannen, miteinander Kontakt aufzunehmen. Da Frauenpublikationen sowieso kaum von der Führung zur Kenntnis genommen wurden, konnten hier kritische Untersuchungen und Sozialreportagen erscheinen. Es entstanden eine Reihe eigenständiger Frauenforschungszentren, ein Frauenmuseum, „Salons“ und Frauengruppen. „Wir erklären ganz deutlich, daß wir nicht politisch sind“, sagte kürzlich eine chinesische Frauenforscherin auf die Frage, was autonome Frauenbewegung denn in einem repressiven System wie China sein kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen