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Skandalbusen

„Sex and Crime“ in Österreich – eine Brotfabrik-Filmreihe über die Geißel des Fleisches  ■ Von Detlef Kuhlbrodt

Mit der Wende kamen seltsame Gestalten in die Stadt. Carl Andersen zum Beispiel. In seinen mittlerweile drei Filmen zeigte der „junge Österreicher“, daß man weder sexistisch noch völlig bescheuert sein muß, um Sex, Gewalt und Pop produktiv, zeitgemäß und irgendwie auch emanzipatorisch zu vermischen. Neben seiner Tätigkeit als ND-Rezensent präsentiert Andersen auch immer wieder gerne Filmreihen, in denen er mehr oder weniger trashige B-Pictures der sechziger Jahre abfeiert. Dabei gehört sein Herz nicht nur den amerikanischen und italienischen Klassikern des Genres, sondern auch den vergessenen heimischen Helden. Dem Sex-and-Crime-Regisseur Eddy Saller zum Beispiel, der zwischen 1965 und 1977 vier Filme drehte, die das Prädikat „Kultur minderer Güte“ mit Fug und Recht tragen. Das Sallersche Gesamtwerk steht im Mittelpunkt der Brotfabrik-Reihe „Sex and Crime made in Austria“.

Beeindruckend ist die comicmäßige Typisierung der Sallerschen Helden. Sie stehen für den moralischen Niedergang in einer Zeit, die einen nackten Busen als skandalös empfand, während sie die eigene Nazikollaboration verdrängte.

Über Alexander Jablonski (Herbert Fux), den beeindruckend ausdruckslos agierenden Helden von „Geißel des Fleisches“ (1965), heißt es zum Beispiel: „Eine unglückliche Kindheit. Vom Stiefvater mißachtet, von der eigenen Mutter wegen seines abstoßenden Äußeren gehaßt. Aus gleichen Motiven gemieden und verspottet von seinen Kameraden. Von den Mädchen der Lächerlichkeit preisgegeben. In der Pubertät entwickeln sich Haßkomplexe gegen die Umwelt. Insbesondere gegen Frauen, denen er psychisch zuwider ist.“ Die „extremen erotischen Reizungen“, denen der einsame Kaffeehauspianist tagtäglich in der freizügigen „Playboy-Bar“ ausgesetzt ist, tun ein übriges, ihn zum Frauenmörder werden zu lassen, der auch vor geheimnisvollen Tabuzonen des Begehrens, wie dem Frauenduschraum einer Ballettschule, nicht zurückschreckt.

Erschütternde mensch- liche Tragödien

Auch in „Schamlos“ (1968), seinem besten Film, entwirft Eddy Saller, in einer seltsamen Mischung aus Nouvelle-Vague-, Edgar-Wallace- und Hitchcock-Elementen, das „erschütternde Bild einer menschlichen Tragödie“. Der junge Udo Kier spielt Alexander Pohlmann, einen halbstarken Gangster, der sich als Zuhälter und Schutzgelderpresser in einem aufregenden 60er-Jahre-Frankfurt durchs verdrängte Leben schlägt. Besonders gelungen und zufriedenstellend ist dies Leben nicht, doch zumindest ausdrucksstark: „Mach du, was du willst. Es ist sowieso alles sinnlos.“ Wie in „M – eine Stadt sucht einen Mörder“ versammelt sich die Unterwelt an versteckten Orten zum Gericht. Unterwelt und Underground vermischen sich in aufregenden Großstadtbars; zur Beatmusik zieh'n sich die Mädchen aus – am Rande gibt es Otto-Mühl-Performances. Das Finale ist furios; das Ende überraschend. Udo Kier überzeugt als angry young man; Rolf Eden als mafiotisches Kapitalistenschwein.

„Geißel des Fleisches“ und „Schamlos“ sind ereignisreiche Schundfilme, die mit dem Charme billiger Groschenromane daherkommen. Besonders wenn man sie heute sieht. Es sind Filme, in denen eine Utopie beschrieben wird, die zwar scheitert, die aber noch nicht trennt zwischen Unterwelt und Hippietum. Nicht nur Beatmusik und Sex, sondern auch das Streben nach dem schnellen Geld (Sallers Produktionsfirma hieß bezeichnenderweise „Commerz-Film“) wird der wilden Welt der unterdrückten Triebe zugerechnet und hat hier noch subversive Züge.

Die beiden Sexkomödien, die Saller 1971 und 1977 („Monique“) gedreht hat, enttäuschen dagegen. In „Liebe durch die Autotür“ (1971) ranken sich frivole Fickhistörchen um ein Autogeschäft, in dem nicht nur Autos verliehen werden. Auch in „Monique“ geht es um die kindliche Welt sofortiger Wunscherfüllung, die weder Hemmung, Scham noch Einzelne kennt, die sie empfinden könnten. Gern plantscht man in Teichen, lachend gluckern nackte junge Dinger Männer mit Bart unter Wasser; besonders lustig die Szene, in der der Trottel des Films seinen Schwanz durch eine Rigipswand schiebt, wo er von einem Hund angeknabbert wird. Detlef Kuhlbrodt

Brotfabrik: 9.–15. März

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