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Echte Hühner, ein bißchen Grün und harter Boden

■ Verwinkelte Straßen und Gassen, Hinterhöfe und viele Plätze machen Ottensen zu Hamburgs „südlichstem“ Stadtteil Von Andreas Albert

Ottensen ist der südlichste Stadtteil Hamburgs. Das stimmt nicht geographisch, wohl aber bevölkerungstechnisch und architektonisch. Als „größte Gemüsefreifläche der Stadt“ bezeichnen unsere beiden Ottensenführer ihren Stadtteil und meinen die Auslagen der meist türkischen Lebensmittelhändler. Das zweiköpfige Team will uns – aus dem Karo-Viertel angereisten Touristen – bei einem Rundgang das wirkliche Ottensen zeigen, das wahre Ottensen.

Wir kommen von der Julius-Leber-Straße. Eine ungewöhnliche Richtung: Der übliche Weg führt BesucherInnen vom Bahnhof in die Ottenser Hauptstraße. Auf die führt auch die Große Rainstraße, vorbei an dem Betonbunker im Bau, der einmal ein „Quarree“ werden soll. „Früher gab's hier viele Proteste und Demos, der Bau sollte verhindert werden“, weist der Führer auf die Niederlage der Quarree-Gegner hin.

„Bei der Firma hat schon 'n Bagger gebrannt. Zur Eröffnung wird's wohl noch mal Randale geben“, prognostiziert er für die Zukunft. Am Spritzenplatz sind keine Punks zu sehen. „Die hatten viel Streß mit den Ladenbesitzern“, meint unsere Begleiterin. Angeblich haben sie die Kundschaft vergrault.

Weiter geht's durch die Bahrenfelder Straße. „Es gibt immer mehr Edelgeschäfte in Ottensen, wird al-

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les teurer“, beanstanden die beiden. Ihnen ist auch aufgefallen, daß am Wochenende immer mehr Auswärtige in ihren Stadtteil einfallen. Nicht zum Einkaufen: Am Sonnabend vormittag ist die Ottenser Hauptstraße nur mäßig voll. „Meist Einheimische“ kaufen hier ein, versichern die Touri-Begleiter.

Die „Nichtottenser“ bevölkern abends den Stadtteil. „Die gehen in die Kneipen. Hauptsächlich um den Zeise-Komplex.“ Dort haben sich viele Bars und Restaurants dem zahlungskräftigen Publikum angepaßt. Das schicke Kino zieht kräftig BesucherInnen aus allen Stadtteilen an. Wir gehen weiter durch die Eulenstraße in die Rothestraße. Das Stadtteilkulturzentrum Motte prägt die Straßenkreuzung. Von vielen Veranstaltungen und legendärem Abhotten jeden ersten Sonnabend im Monat schwärmen die beiden Ottenser.

Direkt daneben befindet sich hinter einem Bretterzaun ein Hühnerhof. Echte Hühner und ein bißchen Grün erzeugen das Gefühl von Dorfleben. Die Stadt will Wohnungen bauen. Die AnwohnerInnen nicht. „Ottensen ist schon einer der dicht bebautesten Stadtteile.“ Sie wollen ihr bißchen Grün erhalten. Eine Lösung ist nicht in Sicht.

Von der Bauwagensiedlung zum Bürgerpark: Kemal-Altun-Platz

„Solche Autos siehst Du hier auch häufiger.“ Wir gehen an einem Jaguar vorbei Richtung Reitbahn. Eine kleine Backsteinkirche zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Nur sind leider die Türen verschlossen. Für eine katholische Kirche eigentlich ungewöhnlich.

Weiter geht's Richtung Kemal-Altun-Platz. Über diesem schwebt ein Streit über die Benennung. Der offiziell namenlose Platz, auf dem sich eine Bauwagensiedlung niedergelassen hatte, wurde nach deren Umsiedlung zu einem Bürgerpark. „Völlig ungeeignet. Der Boden ist viel zu hart, hier wächst fast nichts“, lautet der Kommentar der Fremdenführerin.

Nach einer kurzen Pause in einem Café, in dem sich die Getränkekarten zwischen den Covern von Arztromanen verstecken, geht's über Hinterhöfe weiter. Ottensen erinnert mit seinen kleinen, verwinkelten Straßen, Hinterhöfen und Twieten an südliche Städte. Die vielen Plätze laden zum Ausruhen ein. „Wir haben hier kaum Durchgangsverkehr“, das mache die Lebensqualität aus. BesucherInnen verirrten sich immer wieder, mit dem Auto wird's heikel. Nicht nur wegen der zugeparkten Straßen, durch die sich mühsam die Busse schlängeln. Wir gehen die Bahrenfelder Straße runter und stoßen auf den Platz an der Friedensallee. In dieser Jahreszeit eher trostlos.

Sein wahres Gesicht zeigt Ottensen im Sommer

Sein wahres Gesicht zeigt er im Sommer: „Dann is' es gerammelt voll. Stühle und Tische stehen draußen“. Einen Platz zu bekommen, ist fast utopisch. Auch auf den Bänken. Aber: „Hier herrscht ein tolerantes Klima.“ Hauptsächlich Menschen ausländischer Herkunft und linke Szene prägen das Bild. Weiter geht's die Bahrenfelder lang durch die Zeißstraße. Hier stehen alte zweistöckige Einfamilienhäuser, die Hinterhöfe führen zu größeren Wohnkomplexen. „Das Viertel bei der Osterkirche ist Sanierungsgebiet“, der Platz davor sieht neugestaltet aus. In der Gaußstraße wieder interessante Hinterhöfe, Werkhöfe, ein- bis zweistöckige Gebäude. Das Café hat zu. „Im Sommer gibt's hier gutes Eis.“ An der Ecke zum Nernstweg die Werkstatt 3, noch ein politisch-kulturelles Zentrum in Ottensen. Wir drehen uns um und gehen zurück. Durch die Plessen Straße kommen wir am Hallenbad vorbei. „Leider immer voll“, lautet der Kommentar. Am Bahnhof verabschieden wir uns. Erkenntnis aus der Führung: Ottensen ist ein Stadtteil für den Sommer.

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