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Steiner im Banne Berlusconis

In Italien gerät die Anthroposophie immer mehr unter den Einfluß rechter Kreise / Gemäßigte Anthroposophen wollen gegensteuern  ■ Aus Mailand Werner Raith

Gut ein Jahrzehnt galt die Schule in der Via Clericetti in Mailand eher als Geheimtip – geheim in mehrfachem Sinne: nur selten machten die Eltern Reklame für das Institut, in das sie ihre Kinder schickten, nur selten kam es in Berichten und Veröffentlichungen vor; und niemand wußte, wer dort jeden Morgen einrückte und mittags von den feinen Limousinen, oft gar gepanzerten, abgeholt wurde.

Doch dann, Mitte 1994, war die Schule plötzlich in aller Munde. Für die Lehrer des Instituts wie den Ingenieur Lucio Zannini begann eine Zeit, in der „wir gar nicht so genau wußten, was wir von all dem Rummel halten sollten: schließlich sind wir ja nicht auf Profit ausgerichtet. Andererseits aber haben wir natürlich auch nichts dagegen, wenn die Spenden, von denen die Schule lebt, etwas reichlicher fließen als bisher.“

Der Boom wurde von Nachrichten aus den Kreisen um Silvio Berlusconi ausgelöst. Ein ansehnlicher Teil der Sprößlinge jener eben in die Regierung in Rom eingerückten Mailander-Seilschaft um Berlusconi schickt seinen Nachwuchs nämlich weder in gewöhnliche Staatsschulen noch, wie lange gemutmaßt, in abgelegene und daher indiskreten Blicken entzogene Institute der Katholischen Kirche – etwa des Opus Dei. Statt dessen geht der Nachwuchs just in die Via Clericetti: in die anthroposophisch ausgerichtete Privatschule. Berlusconis Kinder aus zweiter Ehe mit der Schauspielerin Veronica Lario, sind ebenso dort zu finden wie die der Familie Dell' Utri. Deren Oberhaupt Marcello führt zusammen mit einem Bruder die Werbeagentur Publitalia, die zur Berlusconi- Holding Fininvest gehört.

Aber nicht nur in der Schule triumphiert in Italien die Lehre des Goethe-Fans Steiner: Die Berlusconi-Sippschaft richtet unzählige Tagungen aus über die wissenschaftlichen Erkenntnisse des Weimarer Meisters und seinen Einfluß auf die Anthroposophie. Vor allem die Gemahlin des Medientycoons nimmt das in die Hand. Andere mit den Berlusconis befreundete Notabeln geben sich seit langem biodynamischen Anbaumethoden hin. So etwa Giulia Maria Crespi, die frühere Eignerin des Corriere della sera. Sie hat in Zelata eine eigene Stiftung namens Fondo ambiente italiano, kurz FAI, gegründet. Ihre Freunde versorgt sie mit den biodynamischen Erträgen aus eigener Produktion, vor allem mit Reis.

Sie ist nur eine von derzeit schätzungsweise mehr als achthundert solcher BiodynamikerInnen. Dieser Anbau hat sich, der privilegierten Klientel entsprechend, mittlerweile als hervorragendes Geschäft erwiesen. Hochrechnungen zufolge liegen die Umsätze bald bei umgerechnet einer halben Milliarde Mark. Die Anbauer freilich behaupten, keinen Profit daraus zu ziehen.

Entsprechend dieser Entwicklung steigt die Zahl erklärter Steiner-Jünger: Mehr als tausend Mitglieder hat die Anthroposophische Gesellschaft in Italien inzwischen. Das sind dreimal soviele wie noch vor fünf Jahren. Die meisten davon stehen ganz in der Nähe Berlusconis und seiner Politbewegung „Forza Italia“. „Die Anthroposophie“, urteilt das Wochenmagazin L'Espresso, „scheint nicht nur ganz und gar in die Hände der sogenannten ,moderaten‘ Rechten geraten zu sein, sie entwickelt sich auch immer stärker zur Philosophie der Bewegung Berlusconis als solcher.“

Davon wollen die – allerdings wenigen – Linken innerhalb der Anthroposophie nun ganz und gar nichts hören. „Steiner hat in seiner Philosophie die Trennung von geistigem, wirtschaftlichem und politischem Leben aufgebaut“, sagt der Star-Karikaturist Alfredo Chiappori, „Berlusconi aber macht genau das Gegenteil, er konzentriert viele, viel zu viele Machtbereiche in seiner Hand.“

So ganz klar ist nicht, wer sich da wessen bedient: Instrumentalisiert Geschäftemacher Berlusconi die imagebildende Anthroposophie, oder bedienen sich die formell zum Nichtprofit verpflichteten Steiner- Jünger des finanzschweren Vorteils, die der Nachwuchs aus dem Kreis der reichen „Forza Italia“ für die Konten der Schulen und Produktionsstätten versprechen. Denn Sätze für das Schulgeld gibt es nicht, nur den Appell, gemäß dem eigenen Einkommen zu spenden. Oder sind es die Frauen der gestreßten Politiker, die ihren Kindern wenigstens in der Schule ein Refugium der Ruhe und seelischen Ausgeglichenheit bescheren möchten, bevor die Dauerbelastung des ererbten Geschäftslebens auch sie überfällt?

Daß die Anthroposophen sich von profitorientierten Sekten unterscheiden, gilt als ausgemacht. So veröffentlicht zum Beispiel die Editrice Antroposofica nahezu alle Steiner-Werke zu einem so günstigen Preis, der anderen Verlagen Konkurrenzgedanken austreibt. Jährlich gehen an die 40.000 Bücher, fast 170 Titel von Steiner und seiner Adepten über den Ladentisch. „Für uns sind Umsatz und Gewinn nebensächlich“, sagt Verlagsleiter Iberto Bavastro, „uns genügt, daß die Leute, die diese Bücher kaufen, ganz offenbar kulturelle Bedürfnisse haben, die wir befriedigen.“

Immerhin: Auch dem Verlag und der Anthroposophischen Gesellschaft ist klar, daß die Steiner- Bewegung in eine schwere Krise geraten könnte, würde sie auf absehbare Zeit mit einer bestimmten politischen Richtung identifiziert. Um die Berlusconi-Lastigkeit auszugleichen, suchen die Vertreter der Anthroposophie nun nach neuen Anhängern für ihre Ideen. „Das ist ganz schön schwer geworden“, murrt ein Mitglied der Gesellschaft, „vor drei Jahren noch kamen Linke eher von selbst zu uns – heute haben viele schon Bedenken, weil sie mit Berlusconi in einen Topf geworfen werden könnten.“ Fazit: „So gerne wir den Aufschwung unserer Ideen beobachten – gerade Steiner hat uns gelehrt, daß das Hinaustreten aus unserem so sorgfältig aufgebauten Schutzraum hinaus in die ,echte‘ Welt auch für uns noch das zentrale Problem darstellt.“

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