: Bis die Rechnung aufgeht
Klimaforscher versuchen mit immer größeren Computern Vorhersagen über den Treibhauseffekt / Am Ende hilft nur die Erfahrung ■ Aus Hamburg Annette Jensen
Die Erde glüht. Innerhalb von wenigen Sekunden verwandelt sich die gelbe Kugel in einen orange-roten Ball. Nur über den Ozeanen bleiben ein paar Flächen unverändert, und die Antarktis südlich von Feuerland färbt sich blau. „Wir haben den Computer berechnen lassen, was bei einem ungebremsten CO2-Anstieg in den nächsten hundert Jahren passiert“, erklärt Michael Böttinger, der an einem Schaltpult mit mehreren Monitoren sitzt und die Erde kreiseln läßt. Die Wissenschaftler haben die Maschine dafür nicht nur mit physikalischen und chemischen Naturgesetzen gefüttert, sondern ihr auch Informationen über die Oberfläche der Kontinente, über Meerestiefen und die Umlaufbahn der Erde um die Sonne einprogrammiert. „Weil wir die richtige Erde nicht zum Experimentieren benutzen können, schaffen wir ein Modell, das der Natur möglichst ähnlich ist“, sagt der Mann vom Deutschen Klimarechenzentrum, der für die Visualisierung der Ergebnisse zuständig ist.
Mehrere Monate war der gigantische Rechner im Hamburger Geomatikum nur mit der CO2-Folgen-Prognose beschäftigt. Er spuckte Milliarden von Daten aus, die eine grobe Voraussage für die verschiedenen Weltregionen bieten. „Wir können keine genauen Angaben für Hamburg oder München machen, weil das Raster mit einer Maschenbreite von 500 Kilometern zu grob war“, entschuldigt Mojib Latif vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. Aber mit Klimawissenschaftlern auf der ganzen Welt ist er sich einig, daß es bei einer ungebremsten CO2-Zunahme in Mitteleuropa ein bis drei Grad wärmer wird.
Eine paradoxe Folge des Treibhauseffekts
„Theoretisch ist das Modell ganz einfach“, meint Latif. Schließlich sind die klima- und wetterbestimmenden Faktoren weitgehend bekannt. Das Hauptproblem ist die Kapazität des Computers. Denn was sich zehn Kilometer über der Erde abspielt, ist nicht unabhängig davon, was anderswo im Ozean los ist. Um die Wechselwirkungen möglichst gut zu berücksichtigen, haben die Forscher das Computermodell der Erde mit einem vielschichtigen Gitternetz überzogen und für jedes Quadrat Daten wie Wassertemperatur, Luftfeuchtigkeit und vieles mehr festgelegt. Damit läßt sich dann simulieren, was passiert, wenn einer der Faktoren geändert wird.
Beim Golfstrom zum Beispiel haben die Wissenschaftler eine interessante Wirkung des Treibhauseffekts festgestellt. Der Strom, der unser gemäßigt-warmes Klima prägt, funktioniert wie eine riesige Wasserwalze: Im Nordatlantik sinken jede Sekunde 17 Millionen Kubikmeter kaltes, salziges Wasser in die Tiefe. Dadurch werden die Wassermassen am Meeresboden Richtung Süden gedrängt, und an der Oberfläche strömt wärmeres Wasser nach Norden. „Der Antrieb dieser Warmwasserwalze wird sich um 10 bis 20 Prozent abschwächen, wenn die Atmosphäre wärmer wird“, ist sich Latif sicher. Ohne diesen Effekt würde es in Europa aufgrund der CO2-Zunahme wohl noch wesentlich heißer. Letztlich mildert sich der Treibhauseffekt in dem Fall selbst.
Aber auch als Kohlendioxid- Speicher schützt der Ozean die Atmosphäre zunächst vor noch größerer Erwärmung. Fast die Hälfte der CO2-Emissionen versinkt für mindestens 50 bis 100 Jahre in den Fluten. „Das Tiefenwasser im Pazifik hat sogar 1.400 Jahre keinen Kontakt zur Oberfläche“, weiß der Ozeanograph Uwe Mikolajewicz. Unser heute produziertes Kohlendioxid, wird somit, soweit es nicht mit absterbenden Organismen auf dem Meeresboden landet, unsere Nachkommen noch weit über das Jahr 3000 hinaus belästigen.
Computer können die Erfahrung nicht ersetzen
Obwohl der im Klimarechenzentrum gerade installierte Computer mit einer Leistung von 16 Gigaflops – das sind 16 Milliarden Rechenschritte pro Sekunde – etwa zehnmal so groß ist wie seine Vorgänger, fallen nach wie vor wichtige Faktoren durch die inzwischen nur noch 200 Kilometer weiten Maschen. „Wolken sind eben nicht Hunderte von Kilometern groß, aber enorm wichtig fürs Klima“, faßt Latif das Problem zusammen. Zum einen bremsen sie den Einfall der Sonnenenergie, zum anderen halten sie aber auch die Wärmestrahlung des Bodens zurück und heizen so das Treibhaus weiter an. Auch Austausch von Wärme und Wasserdampf an der Meeresoberfläche sowie das Schmelzen von Eisbergen läßt sich nur mühsam in das Meßsystem der Forscher integrieren. „Die mathematischen Gleichungen, mit denen wir die Erde als physikalisches System beschreiben, sind sehr kompliziert und nicht alle lösbar“, sagt Latif.
Und schließlich ist keine neutrale oder „objektive“ Prognose möglich. Denn der Computer kann nur ausspucken, was die Wissenschaftler ihm als Möglichkeit vorgegeben haben. Michael Böttinger gibt ein Beispiel: „Das Ozonloch wurde schon 1979 von einem amerikanischen Satelliten entdeckt. Aber die Forscher hielten die Werte für unmöglich und deuteten sie sieben Jahre lang als Meßfehler.“ Auch der Klimacomputer in Hamburg lieferte am Bildschirm schon „Wirbel und Strömungen, die einfach nicht plausibel sind“, sagt Böttinger. Dann greifen die Meteorologen auf ihre Erfahrung zurück und bauen die Modelle so weit um, bis die Rechnungen mit den Beobachtungen der Natur übereinstimmen.
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