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Vielleicht Comp.lang.asm.x86?

■ Escape Quit oder Versuch einer über Dreißigjährigen, ins Internet hineinzukommen

Okay, leugnen hilft nicht: Ich bin über dreißig und gehöre somit zum alten Eisen. Und blond bin ich obendrein. Dennoch gehe ich das Wagnis ein, will teilnehmen am Kommunikationsrausch, der orgiastisch über weltweite Computernetze tobt. Endlich mal mit Australien kommunizieren. (Mit wem eigentlich? – Kenne da niemanden.) Der Auslöser für mein Begehren war weniger global. Ein Bekannter, der nur einen Stadtteil weiter wohnt, war sauer auf mich. Hatte er mir doch vor Wochen eine E-mail auf den Computer meines Mitbewohners geschickt, in der er mich irgendwas fragte, und ich habe nie geantwortet.

Wohlan. „tm“ tippe ich, und das Modem blinkt erwartungsvoll. [Space] Select, [Enter] Redial meldet der Bildschirm. Eine Liste erscheint mit TBX (interactive), netmbx3 und anderen Namen. Ich rufe meinen computerkundigen Freund. „netmbx ist der POP von EUnet.“ Und was ist POP? „Na, Point of Presence.“ Ich versuche es mit F1 für Hilfe. „Enter dial list (1346). F2 saves this list to TM.CFG and recalls it. If SW.SCR does not exist ...“, antwortet die Maschine. Ich schaffe es nach minutenlangen Versuchen, mit der Escape-Taste wieder zum vorherigen Bildschirm zurückzukehren. Ich versuche es mit Zelator. Scheint ein Computer zu sein, über den man ins Internet Eingang bekommt. Könnte auch Zerberus heißen, der Höllenhund, an dem man eh nicht vorbeikommt.

Stunden später: „You have mail“, meldet Zelator. Die Post bekommt man aber nur zu sehen, wenn man ein neues Programm lädt. Das hat auch eine Hilfe-Funktion, diesmal mit ? aufzurufen. Hier lerne ich: „Manchmal sind die Angaben auf dem Bildschirm inkorrekt aufgrund von Störungen in der Telefonverbindung oder anderer Ursachen. Wenn Sie dann den ganzen Bildschirm übermalen wollen ...“ – Moment. Repaint? Heißt doch übermalen, oder? Daß Blondinen Schreibfehler mit Tippex auf dem Bildschirm korrigieren, ist bekannt. Soll ich das wörtlich nehmen? Ich entscheide mich dagegen.

Da hat jemand namens j3606910[]athema.rr was geschickt. Franz schickt eine Message mit dem Titel „Kontakt“ – klingt doch gut. Schnell „j1“ getippt (nach irgendeiner Logik sicher irgendwie ein logischer Befehl). Endlich am Ziel meiner Träume. Weltweite Kommunikation, grenzenlose Information.

„Hier die versprochene E- mail“, schreibt Franz aus Berlin. „Laß mich wissen, ob Du die mail erhalten hast. Hier ist Angelikas E- mail-Adresse, sie würde sich freuen, wenn Du ihr mal schreibst.“ Oh, gerne. Ich möchte ihr mitteilen, daß ich ihr hiermit eine E-mail schicke, und dann könnte sie antworten, daß sie sie gekriegt hat. Aber wie macht man das? Mit „Strg. X“, vermutlich wie „Xenden“.

Neuer Versuch: eine Newsgroup aufsuchen, ein gobales Diskussionsforum im globalen Dorf. Worüber will ich heute diskutieren? Vielleicht Comp.lang.asm.x86 oder alt.bbs.unixbbs? In der Gruppe Alt.clearing.aquaria und in cl.atom.aktionen findet sich kein Text, schade. Dafür lese ich mit Hilfe des Befehls „U“ für „unread“ (entlesen?) eine öffentliche Bekanntmachung aus Colorado. Eine Susan Branbough meldet, wie der neue Infodienst der Mountain View United Methodist Church in Boulder, Co. zugänglich ist: Wählen Sie einfach URS:http// osiris.colorado.edu/§brumbau/ CHURCH/church.html. Ein Cookie Express offeriert daneben „außergewöhnliche Geschenke für den guten Geschmack“, doch leider fehlt mir die Software, um ein paar Kekse aus Toronto zu ordern. Allerdings könnte ich mich im Internet kundig machen, wo ich die Software finde, um die Kekse zu finden. Aber wer weiß, was für eine Software ich wiederum für diese Suche brauche. Nicola Liebert

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