Der Meister im Mondlicht

Gesichter der Großstadt: Peter Zadek / Einer der eigenwilligsten Theaterregisseure Deutschlands verläßt Berlin, besser gesagt: Er flieht aus der Stadt  ■ Von Sabine Seifert

In Berlin, wo Peter Zadek am 19. Mai 1926 geboren wurde, hat er nicht besonders viele Jahre verbracht. „Die Felsen“ am Rüdesheimer Platz, eine Nazikapelle, die durch die Offenbacher Straße marschierte, und „Rosinchens Reise“ im damaligen Zirkus Schumann gehören zu seinen frühen Kindheitserinnerungen. 1933 mußte die Familie Zadek nach England emigrieren.

Sohn Peter kehrte erst Ende der fünfziger Jahre nach Deutschland zurück – ein junger Regisseur, der mit der halbprivaten Londoner Uraufführung von Jean Genets noch verbotenem „Balkon“ gerade seinen ersten Skandal hinter sich hatte. Genet fand die Inszenierung viel zu realistisch („Er wollte ein ganz artifizielles Theater, und ich habe einen Puff auf die Bühne gebracht“) und hätte Zadek auf der Generalprobe gerne erschossen. Er hat es überlebt.

Während des Krieges studiert Peter Zadek in Oxford deutsche und französische Literatur. 1946 besucht er eine Regieklasse des Old Vic in London. Das Theaterhandwerk lernt er in der englischen Provinz, im walisischen Swansea muß er jede Woche eine Inszenierung herausbringen. 1959 verschlägt es ihn eher zufällig als Gastregisseur nach Köln, wo sich seltsame Probleme mit den Schauspielern ergeben, die sich beklagen, daß der Regisseur kein Regisseur sei, weil er nie etwas sage wie „Geh hierhin oder dahin“ – Zadeks Regiestil, beeinflußt von Craig und Strasberg, wird Schule machen. 1959 lernt Zadek Kurt Hübner kennen, folgt ihm ans Ulmer und später ans Bremer Theater.

Zadeks kleine Familie, abgeschottet nach außen

Hübner wird zum wichtigsten Förderer Zadeks, eine Art Ziehvater für den jungen, wohlbehütet aufgewachsenen Engländer. Diese Konstellation bleibt typisch für Zadek: einige enge Vertraute, die Kernfamilie, abgeschottet nach draußen. Die Privatheit macht den Schauspielern vieles möglich. Zadek inszeniert vor allem Shakespeare, auch Ibsen und Tschechow.

In den siebziger Jahren, als er Intendant in Bochum ist, beginnt seine Reihe der zeitgeschichtlichen Revuen (unter anderem „Kleiner Mann, was nun?“). In den achtziger Jahren – Zadek ist Intendant am Hamburger Schauspielhaus – regt „Ghetto“ die Gemüter auf. Man könne ein so schweres Thema nicht so leicht, so musicalhaft behandeln, sagen seine Kritiker. Doch er kann. Was Zadeks Arbeit immer auszeichnete, ist der Hang zum Tragikomischen, das genaue Ausloten der Grenzen zwischen dem Komischen und Tragischen, die Suche nach dem Komischen im Tragischen und umgekehrt.

Nach Bochum und Hamburg wird Peter Zadek 1993 zum dritten Mal Intendant – zugegebenermaßen nur Kointendant im Ältestenrat der deutschen Theatermacher am Berliner Ensemble. Und zum dritten Mal legt er eine Intendanz nieder. Brecht, Zadek und das Berliner Ensemble sind ein Mißverständnis gewesen.

Brecht, den Stückeschreiber, hat Zadek nie leiden können. Aber er sei von der Intelligenz seines Theaters beeindruckt gewesen, als er Brecht, den Regisseur, sah. Mit den Schauspielern des Theaters hat er nicht viel anfangen können; das geradezu naiv anrührende Spiel der sonst wunderbaren Eva Mattes biß sich immer wieder mit den auf Rollendistanz geeichten eingesessenen Schauspielern. Für die wurde Zadek zum Buhmann, Inbegriff der westlichen Dekadenz.

Die gegenseitige Ignoranz hat sich auch in den Berliner Inszenierungen des Peter Zadek niedergeschlagen; sie pflegten einen einfachen, aber auch etwas einfallslos gewordenen Stil, schwankten zwischen völliger Verweigerung wie bei Brechts „Die Jasager und die Neinsager“, das Zadek als Schülertheater aufführen ließ, gaben sich betont naiv wie das „Wunder von Mailand“ oder kamen etwas seicht wie „Antonius und Cleopatra“ von den Wiener Festwochen zurück.

„Dieses Brutalo-Theater halte ich nicht aus“

Der Ost-West-Riß geht durchs ganze Theater. Einer der Hauptstreitpunkte innerhalb der Direktorengruppe war Einar Schleef, von Heiner Müller protegiert und von Peter Zadek bekämpft: Schleefs stiefelstampfenden Männer und choreographierten Chöre rufen bei dem jüdischen Theatermann ungute Assoziationen hervor. Dem Wiener Kurier sagte Peter Zadek vergangene Woche: „Dieses Brutalo-Theater halte ich nicht aus.“ Politisch begründen oder genauer beschreiben könne er seine Ängste nicht: „Es ist wirklich eine Flucht.“

Die Flucht hat Peter Zadek zumindest gut vorbereitet. Angekündigt mit einem Spiegel-Essay, in dem er Heiner Müller angreift. Abgesichert durch Aufträge in Wien, wo er Tschechows „Kirschgarten“ und die „Zauberflöte“ inszenieren wird.

Vorher geht im Berliner Ensemble für Peter Zadek noch einmal der Vorhang auf, Ende April ist Premiere der deutschen Erstaufführung von Harold Pinters „Mondlicht“. Möge ihm der Weggang vom Berliner Ensemble guttun.