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Die Gefühlsverwirrung der Linken

■ Brigitte Rauschenbach thematisiert in ihrem neuen Buch „Deutsche Zusammenhänge“ die Grenzziehungen in den Köpfen der Ossis und Wessis

Brigitte Rauschenbach hat sich im Februar 1992 als Organisatorin des Berliner Kongresses „Erinnern, wiederholen, durcharbeiten– Zur Psycho-Analyse deutscher Wenden“ einen Namen gemacht. Nunmehr ist ein neues Buch der Privatdozentin für politische Psychologie und Sozialphilosophie erschienen: „Deutsche Zusammenhänge – Zeitdiagnose als politische Psychologie“.

Das Buch umfaßt sechs zwischen 1989 und 1994 geschriebene Aufsätze über die Grenzziehungen in den deutschen Köpfen. Im Kapitel „Reibungszone Heimat“ plädiert sie, angelehnt an Ernst Bloch, für einen republikanischen Heimatbegriff: „Wo ich mich am Gemeinwesen aktiv beteiligen kann, da bin ich zu Hause.“ Unter der Überschrift „Das Eigene und das Fremde“ wird im nächsten Buchabschnitt „das Lernen am ethnologischen Blick“ thematisiert. „Unsere andere Geschichte“ enthält die erstmalige Auswertung von Interviews mit ehemaligen DDR- Bürgern der Jahrgänge 1940, 1950, 1960 und 1970. Der schönste Aufsatz trägt den Titel „FrauenBewußtSein – BewußtFrauSein“. Dennoch sei hier nur auf die letzten verwiesen, „Ein deutsches Trauerspiel mit offenem Ende“ sowie „Identitäten und Differenzen“, da sie so schön in die „Normalisierungs“-Debatte passen.

Das Trauerspiel, sagt die Autorin, umfaßt vier Akte: die 1871 errungene nationale Einheit der Deutschen endete auf dem Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs und die neu errungene Republik im Holocaust. Der dritte und vierte Akt, 1968 und 1989 spielend, sind erfreulicher. Und dennoch: „Immer von neuem am Ende sind wir, aus Ruinen auferstehend, mit den Vorgeschichten nie fertig geworden. Deutsche Geschichte ist vom kollektiven Syndrom verfehlter Abschiede gezeichnet.“ Die 68er- Generation, zu der sie selbst gehört, nimmt sie von dieser Unfähigkeit zu trauern nicht aus: Eine „inquisitorische Verstockung“ habe sie gegenüber ihren NS-belasteten Eltern an den Tag gelegt, „die den Angeklagten zum Durcharbeiten keine Möglichkeit ließ“. Folge: Der „Schuldzusammenhang“ wurde nicht durchtrennt, „die anstelle der Eltern moralisch übernommene Trauer schlug um in Utopie“, und die Träume vom besseren Leben wurden auf Kuba, China, Palästina oder die Sowjetunion projiziert. Auch das glückliche Jahr 1989 habe ziemlich unglücklich in der ostdeutschen „Unwilligkeit zu trauern“ geendet. Denn: „Nach der Vereinigung fand der Ossi sich wieder als ein häßlicher, belachter und minderwertiger Deutscher.“ Doch zu trauern „hieße, der Erniedrigung stattzugeben. Das kann der Ossi nicht, und das will er nicht. Unwilligkeit ist der letzte Funke des zerstobenen Stolzes“. Die Folge: Eine melancholische Lähmung legt sich über das ganze Land. Auch die westdeutschen Linken sind davon erfaßt, denn bei ihnen habe „die Enttäuschung über den Verlust der Utopie“ in Melancholie zurückgeschlagen.

An dieser Stelle sei ein Einspruch gestattet. Die große Mehrheit der westdeutschen Linken war nicht so blöde, die Tristesse des real existierenden Sozialismus als utopisches Paradies zu verklären. Das Gefühl der politischen Leere, das derzeit viele beschleicht, scheint sich vielmehr aus einer Gefühlsverwirrung zu ergeben, die sich in den Jahren nach 1989 einstellte – angesichts der CDU- Wahlsiege, des DDR-Anschlusses, des Scheiterns aller Demokratisierungsbemühungen, des unverdienten Sieges der „Normalisierer“. Mit der Wut darüber stieg aber auch die Scham über die eigene Unfähigkeit, die Folgen des Mauerfalls zu akzeptieren.

Den billigen Ausweg aus diesem bis heute andauernden Gefühlschaos, das die widersprüchliche Deutschlandpolitik der Grünen und womöglich auch das Scheitern der rot-grünen Koalition in Berlin 1990 mitverursacht hat, formulierten später Tilman Fichter und andere: Die Linke brauche nur ein positives Verhältnis zur Nation entwickeln – als ob das eine Verstandesangelegenheit sei.

Brigitte Rauschenbach macht diesen Trick nicht mit. Für sie besteht die reife politische Identität in der Anerkennung der Nicht- Identität: „Wir, die wir nicht deutsch sein wollten, konnten nichts anderes sein oder werden, sondern nur versuchen, es anders zu machen. Noch die Nicht-Identität hat uns kollektiviert und verpflichtet.“ Ein ungebrochenes Nationalgefühl ist nach Auschwitz unmöglich. Für die Autorin gewinnt „das Geschichtszeichen von 1989“ folglich erst dann „seinen deutschen Sinn, wenn es in diesem“, nämlich in Auschwitz, „fundiert ist“. Ute Scheub

Brigitte Rauschenbach: „Deutsche Zusammenhänge – Zeitdiagnose als politische Psychologie“. Verlag Fromm, Osnabrück 1994, 224 S., 22 Mark

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