: Ohne Kontrolle in die Pleite
■ Das alternative Rehabilitationsprojekt Theta in Wedding steht vor dem Aus / Mitarbeiter: Aufsichtsorgane stehlen sich aus der Verantwortung
Die Theta Wedding, ein bundesweit bekanntes Rehabilitationsprojekt für psychisch Kranke, steht 15 Jahre nach ihrer Gründung vor dem Ende. Die gemeinnützige Theta Coopera GmbH mit rund 20 MitarbeiterInnen befindet sich in Liquidation, für die Werkstatt für Behinderte (WfB) mit etwa 140 Rehabilitations-Arbeitsplätzen und rund 60 AnleiterInnen und Verwaltungsangestellten wird ein neuer Träger gesucht. Die Reha-Plätze sollen nach Angaben des Vorstandes gesichert werden, dagegen haben schon zahlreiche nichtbehinderte Beschäftigte der Werkstatt die Kündigung erhalten, teilweise ohne Rücksicht auf Kündigungsfristen.
Während nach Angaben des Vorstandes diese Maßnahmen unumgänglich waren, um einen Konkurs zu vermeiden (die Rede ist von etwa 800.000 Mark Schulden), erheben MitarbeiterInnen schwere Vorwürfe. Jahrelang hätten die Verantwortlichen im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPW), im Landesarbeitsamt und in der Senatsverwaltung für Soziales ihre Aufsichtspflicht über die Theta Wedding vernachlässigt und einen unseriösen Geschäftsführer gewähren lassen. Nun gehe es ihnen weniger um die Konsolidierung des angeschlagenen Vereins als vor allem darum, die eigene Verantwortung zu vertuschen. Das alternative Rehabilitationsprojekt für psychisch Kranke werde zerschlagen, und die Interessen der Rehabilitanden spielten keine Rolle.
Zur Vorgeschichte: Die Theta Wedding wurde in den Jahren 1979/80 mit dem Ziel gegründet, psychisch Kranken auf Dauer ein selbstbestimmtes Leben außerhalb von psychiatrischen Kliniken zu ermöglichen. Dazu wurden zunächst eine therapeutische Tagesstätte und geschützte Wohngruppen aufgebaut, später auch eine Werkstatt für Behinderte mit den Bereichen Druckerei, Malerei, Schneiderei, Tischlerei, Küche und Hauswirtschaft.
Völlig überhöhtes Gehalt
Anders als bei anderen Behindertenwerkstätten wurde in der Theta darauf geachtet, den Rehabilitanden eine gezielte handwerkliche Qualifikation zu verschaffen, damit sie im Anschluß einen tariflich entlohnten Arbeitsplatz in einer Firma der freien Wirtschaft finden konnten. Stumpfsinnige mechanische Tätigkeiten wurden abgelehnt. 1986/87 wurde zusätzlich die Theta Coopera GmbH gegründet, die in den Bereichen Druckerei, Bau, Naturkostbäckerei und -imbiß als Zwischenschritt geschützte, aber tariflich bezahlte Arbeits- und Ausbildungsplätze zur Verfügung stellte. Mit diesem Konzept konnte das Weddinger Projekt ganz außergewöhnlich gute Erfolge bei Rehabilitation und Vermittlung in die freie Wirtschaft vorweisen.
Zum Ausgangspunkt der jetzigen Misere der Theta wurden die Kündigung des Geschäftsführers Jochen Eckehard Göbel-Heydt durch den damaligen MitarbeiterInnen-Vorstand im November 1993. Ihm wurde vorgeworfen, er habe nicht nur alle Entscheidungsgewalt in der Theta an sich gerissen und andere Beschäftigte von entscheidenden Informationen abgeschnitten, sondern sich auch durch die Kombination mehrerer Geschäftsführerposten ein nach einem Gutachten der Wirtschaftsberatungsfirma Kienbaum völlig überhöhtes Jahresgehalt von etwa 230.000 Mark ausgezahlt. Ferner sei der Verbleib eines ihm 1988 von der Theta ausgezahlten Kredites in Höhe von 80.000 Mark bis heute nicht vollständig geklärt. Vor allem aber sei durch ihn der Geschäftsbetrieb der GmbH aus Mitteln der Werkstatt für Behinderte aufgebläht worden, was einem Subventionsbetrug gleichkomme. Göbel-Heydt selbst bestreitet alle gegen ihn gerichteten Vorwürfe. Er habe kein überhöhtes Gehalt bezogen, und der Kredit sei vollständig zurückbezahlt worden. Die enge Verschachtelung von GmbH und Werkstatt für Behinderte im Bereich der Druckerei sei den aufsichtsführenden Stellen bei DPW und Landesarbeitsamt von Anfang an bekannt gewesen und nie beanstandet worden, da es immer eine sauber getrennte Buchführung gegeben habe. Auch beim Aushandeln der Kostenansätze, nach Angaben von Frau Gordon vom Landesarbeitsamt die höchsten in Berlin, habe es nie Probleme gegeben.
Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Druckerei sind nach Angaben von Göbel-Heydt nach 1989 durch die großen hinzugekommenen Druckkapazitäten in Ostberlin entstanden. Allerdings sei das Betriebsergebnis im letzten Jahr unter seinem Nachfolger in der Geschäftsführung der Coopera deutlich stabilisiert worden, so daß er die wirtschaftlichen Argumente zur Liquidation der Coopera für vorgeschoben hält. „Das inhaltliche Konzept der Theta paßt nicht mehr in die Landschaft und wird jetzt sozialbürokratisch abgewickelt.“
In eine zusätzliche Zwangslage war der Verein dadurch gekommen, daß der Vermieter der Räume in der Genter Straße wegen der Unterlassung vertraglich vereinbarter Baumaßnahmen eine Mietnachforderung in Höhe von 275.000 Mark stellte. Der dadurch drohende Konkurs konnte von DPW und Kostenträgern als Hebel benutzt werden, im November 94 einen Vorstand aus Personen ihres Vertrauens durchzudrücken: Reinald Purmann vom DPW, Helmut Forner von der Lebenshilfe und Norbert Prochnow vom Unionshilfswerk.
Während Helmut Forner dem alten Vorstand seinerseits Fehler und Versäumnisse vorwirft, sieht dieser bei DPW und Kostenträgern vor allem das Bemühen, eigene Verantwortlichkeiten zu vertuschen. Dabei sei es „fast unmöglich, innerhalb eines Jahres alles aufzuarbeiten, was jahrelang von einigen Leitenden zum Teil mit Wissen und Billigung höherer Instanzen (Kostenträger etc.) mißgewirtschaftet wurde“, wird vom alten Vorstand geklagt. Daher sei es „grotesk und nicht einsehbar für uns, wenn einem unredlichen Geschäftsführer zu Recht die Kündigung ausgesprochen wird, daß der gesamte Verein zunichte gemacht werden soll“. DPW-Geschäftsführer Hans-Joachim Brauns äußert sich zurückhaltend. Er sprach auf einer Mitgliederversammlung von einer „strafrechtlichen Relevanz“ des Falls. Man bewege sich hier „auf sehr dünnem Eis“.
Der neue Vorstand schaffte schnell vollendete Tatsachen. Eine Kölner Consultingfirma wurde mit der Liquidation der Theta Coopera GmbH beauftragt, die Druckerei wurde Anfang Januar stillgelegt, und auch fünf schwerbehinderte MitarbeiterInnen wurden auf die Straße gesetzt, ohne sich zunächst um Ersatzarbeitsplätze zu kümmern. Inzwischen kündigte Vorstandsmitglied Forner an, ihnen würden Arbeitsplätze in einer Druckerei der freien Wirtschaft vermittelt.
Ein ehemaliger Mitarbeiter sieht handfeste Interessen: In Berlin sei nicht mit der Zulassung neuer Werkstätten für Behinderte zu rechnen, eine bestehende Genehmigung werde daher wie bares Geld gehandelt. Ob das, was in einer solchen Werkstatt passiere, den Behinderten wirklich nutze, sei letztendlich egal. Am Ende stehe eine stetige Verschlechterung der Rehabilitationsangebote und eine Rückkehr zu Verwahreinrichtungen alten Stils. Ulrich Nettelstroth
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