: Gedichte in Bewegung
■ Schluß mit Langeweile und mit Berlin-Haß! taz und Radio Brandenburg proudly present: Ihre Lieblingsgedichte in der U 1 und U 2 sowie in der Potsdamer Straßenbahn
Berlin-Hasser, Neuberliner und andere Randgruppen mäkeln gerne über den ruppigen Umgangston und die Unfreundlichkeit der Hauptstädter. Als beliebtestes Beispiel müssen dafür stets die Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln herhalten: „Keiner lächelt.“ – „Alle gucken bloß in ihre Zeitungen.“ – „Ständig wird man angemotzt.“ Und dann auch noch die Werbung: „Haste im Verkehr mal Frust, mit Paech-Brot kriegste wieder Lust“. Das dürfte wohl jedes wie auch immer geartete Lustgefühl töten.
Also, was tun? Raus aus der U-Bahn? Mitnichten, das Gegenteil ist angesagt. Rein in die U-Bahn, und zwar nicht nur als Fahrgast, sondern als Literat. Dank einer Initiative von Radio Brandenburg, taz sowie den Berliner und Potsdamer Verkehrsbetrieben wird das jetzt möglich. Ab dem 5. Mai werden die Fahrgäste der Berliner U-Bahnlinien 1 und 2 und der Potsdamer Straßenbahn von Gedichten begleitet. Ob Selbstgereimtes oder Klassiker, jeder kann sein Lieblingsgedicht einschicken.
In London und New York gehörten Gedichte in der U-Bahn lange Jahre zum Alltag. Die Aktion kam so gut an, daß die in der U-Bahn veröffentlichten Gedichte bald auch als Bücher zu kaufen waren. Lord Byron war dort mit Liebe, Frieden und Mondenlicht vertreten. Aber auch alte Sinnsprüche, die in der U-Bahn plötzlich aktuell werden, konnte man lesen: „Hier sind wir alle bei Tage zusammen; jedoch nachts allein, von Träumen jeder geworfen in eine andere Welt.“ Inspiriert durch die guten Erfahrungen aus London und New York wurde in Berlin und Potsdam die Initiative „Gedichte in Bewegung“ ins Leben gerufen. „Hier geht es nicht um knallharte Werbung, sondern um eine andere, poetische Sprache, die die Fahrgäste zum Nachdenken und Träumen animiert“, erklärt Wolfgang Schwenk, Marketingleiter der BVG, den Sinn der Aktion. Und auch der Marketingleiter der Potsdamer Verkehrsbetriebe, Volkmar Wagner, meint, der öffentliche Personennahverkehr werde viel zuwenig als Teil der Stadtkultur genutzt. „Die Aktion ist kein Werbegag, sondern eine Möglichkeit, das Straßenbahnfahren als Bestandteil der Kultur zu erkennen.“
150 Flächen in Berlin und 60 in Potsdam haben die Verkehrsbetriebe dafür kostenfrei zur Verfügung gestellt. „Die Leute in der Straßenbahn freuen sich bestimmt, mal was anderes als nur Werbung zu lesen“, meint ORB-Chefredakteur Christoph Singelnstein. Der Ostdeutsche Rundfunk Brandenburg (ORB) plant unter anderem, einige Gedichteschreiber in das Studio von Radio Brandenburg einzuladen. „Durch die Aktion können wir mit unseren Hörern ganz anders kommunizieren als normalerweise“, so Singelnstein. „Mit einem Gedicht in der U-Bahn kann jeder seine ganz persönlichen Wahrheiten an den Mann und die Frau bringen“, frohlockt Annette Schoeler von der taz-Geschäftsführung angesichts der hoffentlich zahlreich eingehenden Gedichte.
Im April werden für die Jury „Helden des Wortes“ aus Ost- und Westberlin gesucht, die darüber entscheiden, welche Gedichte ausgehängt werden. Und zum Auftakt der Ausstellung ist ein Fest im Kaufhaus Kato am Schlesischen Tor geplant.
Jeder Partner wird im eigenen Haus nach kulturellen Höhepunkten Ausschau halten. In Insiderkreisen munkelt man bereits von musikalischer Unterhaltung durch BVG-Bigband und taz-Chor. Die auserwählten DichterInnen können ihre Verse rezitieren, und aus Potsdam soll ein Straßenbahnwaggon, samt Gedichten natürlich, angeliefert werden. Prädikat: unbedingt empfehlenswert!
Wer nun noch meint, ist ja alles ganz schön, aber Kunst ist doch so 'ne schwierige Sache, dem sei Morgensterns „Dichterbekanntschaft“ empfohlen: „Zu Haus in meiner Träume Welt / wie hab ich ihn mir vorgestellt! / Doch ach, wie ganz betrog ich mich: / Der Esel sieht ja aus wie ich.“ Gesa Schulz
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