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Sanfte Offerten, gute Touristen

■ Die Entdeckung einer Marktlücke und der Vertrieb verträglicherer Reisen

Martina Neuer betreibt ein Reisebüro. In der bayerischen Provinz: in Regensburg. Strenggenommen sind es zwei Büros – zwar im selben Haus, aber räumlich getrennt. Ihre Schwester dealt mit harten Sachen: Flüge, Pauschalreisen, Last-minute-Angebote.

Martina Neuer selbst kümmert sich um die sanften Offerten. Ziemlich einmalig für die Bundesrepublik Deutschland, gibt die Reisebürofrau einen Katalog heraus, der die Touren diverser sanfter Reiseveranstalter bündelt. Den Begriff „sanft“ nimmt Martina Neuer allerdings nicht gern in den Mund. Denn trotz jahrelanger Diskussionen in tourismustheoretischen Zirkeln existieren keine allgemein anerkannten Kriterien für das, was den Tourismus sanft macht. So läßt die Reisebürofrau höchst subjektive Kriterien walten und nimmt nur solche Angebote in ihr Programm auf, „die mir selbst gefallen“. Den Öko-Puristen werden sich dann auch die Nackenhaare sträuben, wenn sie im Katalog die Flugreisen entdecken. Mit den kerosinfressenden Kisten geht es nach Costa Rica und Jamaika, nach Israel und in die Türkei.

Martina Neuer sieht den Widerspruch. Aber sie nimmt die „unsanfte“ Anreise in Kauf, wenn vor Ort alles öko-politisch korrekt verläuft. Wenn die Hotels und Ferienhäuschen in landestypischer Bauweise mit heimischen Materialien errichtet wurden. Wenn eine Biogasanlage in Betrieb ist und die Abwässer geklärt werden. Wenn ausschließlich Einheimische beschäftigt sind und nur Produkte der Region im Kochtopf landen.

Die weltweiten Flugreisen sind sowieso die Ausnahme im Katalog. Ansonsten geht es rechtschaffen sanft zu: Wanderungen in den französischen Pyrenäen oder im rumänischen Nationalpark Retezat, Radtouren in der Camargue oder durch den Thüringer Wald, Segeltörns an der holländischen Küste oder Paddeltouren auf norwegischen Seen. Öko-Fundis sollen zufrieden sein.

Wandern, Radfahren und andere uralte Reiseformen, bislang mit einem angestaubten, altväterlichen Image behaftet, sind seit der Konjunktur des sanften Tourismus voll im Trend. In den Ferien etwas leisten und aktiv sein, ist auch die Devise der vorbildlichen Öko- Touristen. Martina Neuer hat vielleicht eine Marktnische entdeckt. In ihrem Katalog versammelt sie Klein- und Kleinstveranstalter, deren Touren sich von den 08/15-Angeboten der Touristikkonzerne abheben. Viele ihrer Anbieter haben aus dem (Reise-)Hobby gleichsam einen Beruf gemacht und offerieren Touren abseits der Tourismuspfade.

In die normalen Reisebüros gelangen diese sanften Offerten kaum. Denn sie machen den ReisebüroexpedientInnen viel zuviel Arbeit. Einfacher und rentabler ist es, den Katalog eines Großveranstalters aufzuschlagen, nach kurzer Kundenberatung die Codierung der Standardreise in den Computer zu geben und die fette Veranstalterprovision zu kassieren.

So müssen sich viele der sanften Veranstalter die Kunden mühsam über Kleinanzeigen in der taz oder in Stadtmagazinen zusammensuchen. Oder sie stehen im Katalog von Martina Neuer. Bei ihr wachsen die Buchungszahlen von Jahr zu Jahr. Ganz klein hatte sie vor fünf Jahren angefangen. Gerade einmal ein Prozent des Gesamtumsatzes brachten die sanften Reisen. Heute sind es immerhin schon zehn Prozent. Mit steigender Tendenz.

Allerdings mußte die Reisebürofachfrau auch Lehrgeld zahlen. Denn auch im sanften Reisegeschäft wird mit harten Bandagen gekämpft. Den branchenüblichen Provisionssatz können sich einige sanfte Anbieter nicht leisten. Von betriebswirtschaftlicher Kalkulation oft keine Ahnung, berechnen sie die Preise viel zu knapp. Und versuchen dann, sich um die Reisebüroprovision zu drücken oder Sonderkonditionen auszuhandeln. Manchmal bekommt Martina Neuer für eine Tour, die über 3.000 Mark kostet, läppische 100 Mark. Andere sanfte Veranstalter bestehen auf die Herausgabe der Kundenadressen. In Telefonaten werden dann die Urlauber in spe mit Preisnachlässen geködert, nicht über das Reisebüro, sondern direkt zu buchen. Mit diesen knüppelharten Geschäftemachern hat Martina Neuer allerdings nicht lange zu tun. Sie fliegen aus dem Programm. Reinhard Kuntzke

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