: Hoffnung für Dellwo und Taufer
■ Psychiater befürwortet "vorzeitige" Entlassung der Stockholm-Gefangenen nach 20 Jahren/ Oberlandesgericht Düsseldorf entscheidet über frühere RAF-Mitglieder voraussichtlich im April
Berlin (taz) – Die Freilassung der RAF-Gefangenen Lutz Taufer und Karl-Heinz Dellwo ist fast zwanzig Jahre nach dem Überfall des „Kommandos Holger Meins“ auf die deutsche Botschaft in Stockholm in Sicht. Der Aachener Psychiater Henning Saß befürwortet in zwei Gutachten grundsätzlich die „vorzeitige Entlassung“ der zu lebenslanger Haft verurteilten früheren Mitglieder der RAF. Das Strafgesetzbuch erlaubt bei „Lebenslänglichen“ eine Strafaussetzung auf Bewährung nach frühestens fünfzehn Jahren.
Nach Informationen der taz liegen die im wesentlichen „nach Aktenlage“ erstellten Expertisen seit Ende Februar beim Oberlandesgericht Düsseldorf. Das OLG hatte Dellwo und Taufer 1977 verurteilt und muß nun über ihre Freilassung entscheiden. Die Bundesanwaltschaft als zuständige Strafvollstreckungsbehörde und die Betroffenen können bis Ende März zu den Saß-Gutachten Stellung nehmen. Von Generalbundesanwalt Kay Nehm ist bekannt, daß er die Freilassung der beiden Inhaftierten wünscht.
Wie in anderen Entlassungsverfahren von RAF-Langzeitgefangenen hatte die Frage der umstrittenen psychiatrischen Gutachten auch im Fall der in Celle inhaftierten Taufer und Dellwo jahrelange Verzögerungen mit sich gebracht. Bereits im November 1992 beantragten beide ihre vorzeitige Entlassung. Dellwo erklärte zuvor für sich, Taufer und vier weitere Gefangene: „Keiner von uns wird nach seiner Freilassung zum bewaffneten Kampf zurückkehren.“ Gleichzeitig verweigerten die Betroffenen die als demütigend empfundenen „Explorationsgespräche“ mit Psychiatern, die auf dieser Grundlage gegenüber den zuständigen Gerichten sogenannte „Gefährlichkeitsprognosen“ abgeben sollten. Daraufhin lehnte das Oberlandesgericht Düsseldorf die Freilassung der Stockholm-Gefangenen Anfang 1993 ab.
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung, baute aber gleichzeitig eine Brücke für das künftige Vorgehen. Demnach reicht nun ein „nach Aktenlage“ erstelltes Gutachten. Außerdem nimmt der vom Gericht beauftragte Psychiater an der gesetzlich vorgeschriebenen gerichtlichen Anhörung der Gefangenen als „stiller Beobachter“ teil.
Falls sich das Oberlandesgericht Düsseldorf dem Votum des von ihm beauftragten Psychiaters und der Bundesanwaltschaft anschließt, könnten Dellwo und Taufer ziemlich genau zwanzig Jahre nach dem Überfall auf die Stockholmer Botschaft am 24. April 1975 freikommen. Bei dem gescheiterten Versuch, insgesamt 26 RAF-Gefangene aus deutschen Hochsicherheitsknästen freizupressen, waren seinerzeit vier Menschen getötet worden, davon zwei Botschaftsangehörige und zwei Kommandomitglieder. Die Todesumstände konnten nie vollständig geklärt werden.
Von den vier überlebenden Kommandomitgliedern bliebe nach der Entlassung der Celler Gefangenen nur noch die in Lübeck einsitzende Hanna Krabbe in Haft. Sie hat nach der ersten Ablehnung ihres Entlassungsantrags bisher keinen zweiten Anlauf unternommen. Bernd Rössner, den nach einem Hungerstreik schwer erkrankten vierten Stockholm-Attentäter, hatte Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Mai 1994 begnadigt. Gerd Rosenkranz
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