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„Unsere Waffen sind Worte“

In Köln demonstrieren am Wochenende 30.000 Alawiten gegen die blutigen Massaker in der Türkei und verlangen die Anerkennung ihrer Religion  ■ Aus Köln Bernd Neubacher

20.000 DemonstrantInnen hatte die Polizei angekündigt, fast 30.000 kommen am Samstag nach Köln. In einem vierstündigen Marsch durch die Kölner Innenstadt protestieren sie friedlich gegen die jüngsten blutigen Übergriffe auf Alawiten in der Türkei. Die Proteste richten sich vor allem gegen die türkische Regierung. Aufgerufen zu der Aktion hatten die deutschen Alawiten-Gemeinden. In Deutschland leben etwa 600.000 Mitglieder der weltlich orientierten islamischen Glaubensgemeinschaft.

Scharfe Kritik üben die Alawiten vor allem an der türkischen Regierung. Auf Spruchbändern wird diese aufgefordert, endlich zurückzutreten. Auf anderen Plakaten wird die Türkei als „Mörderstaat“ bezeichnet. Die DemonstrantInnen fordern die Anerkennung ihrer Glaubensgemeinschaft, die in der Türkei als verbotene Sekte eingestuft werde. Viele Alawiten tragen rote Stirnbänder, ein Erkennungszeichen aus früheren Glaubenskriegen. Andere halten Bilder des Mohammed-Schwiegersohns Ali, dessen Glaubensanhänger sie sind.

Bei den schweren Unruhen in der Türkei waren seit dem vergangenen Wochenende etwa 30 Menschen getötet und 200 verletzt worden. Auslöser der Auseinandersetzungen waren Terroranschläge Unbekannter auf Treffpunkte der Alawiten. Danach kam es zu heftigen Zusammenstößen zwischen türkischer Polizei und alawitischen Demonstranten. In der Türkei leben insgesamt etwa 15 Millionen Alawiten.

Inmitten von Sprechchören, die „Hoch die Internationale Solidarität“ skandieren, liest Levent* das Flugblatt eines Vereins türkischer und kurdischer Arbeitnehmer. „Wie lange noch sollen die Alawiten allein die Demokratie in der Türkei sichern müssen?“ steht da geschrieben. „Das hier“, wedelt Levent mit dem Papier, „ist ein bißchen schwach.“

Der Mittvierziger vermutet die „Grauen Wölfe“ hinter dem Terror in der Türkei. Unterstützt wird diese rechtsextreme Organisation seiner Meinung nach vom Staat. „Wir dürfen uns einfach nicht auseinandertreiben lassen“, meint er. „Bis vor kurzem konnte man noch mit allen Landsleuten hier in Köln reden.“ Jetzt, nach dem Massaker in Istanbul und den Anschlägen auf türkische Reisebüros in Deutschland, fürchtet Levent, daß man sich künftig nur noch als Alawit oder Sunnit, als Kurde oder Türke begegne.

Murat* ist zur Demo eigens aus Franken angereist. Er steht am Straßenrand und gestikuliert mit den Armen: „Die Leute sind wütend, sie sind in Aufruhr“, kommentiert er seine Landsleute. „Man schämt sich zu sagen: ,Ich bin Türke.‘“ Wie alle, die in Köln auf die Straße gehen, hat Murat beinahe seine gesamte Verwandtschaft in der Türkei. Seit den Ausschreitungen in Istanbul ist er besorgt: „Man muß halt jeden Tag anrufen und fragen, wie es ihnen geht. Doch wenn was passiert ist, ist es sowieso zu spät.“

Wenige Meter weiter versucht ein Ordner einem Polizisten die Unterschiede zwischen Alawiten und Sunniten zu erklären. „Der Koran“, erklärt der Mann mit der roten Armbinde, „ist für uns nicht das heilige Gesetz, wir sind fortschrittlicher.“ – „Dann ist das ja so ähnlich wie mit Katholiken und Protestanten“, brummt der Ordungshüter. Und ein Demonstrant ergänzt: „Wir sind genauso religiös wie die anderen, auch wenn wir nur zwölf statt dreißig Tage fasten. Gott ist für jeden da, nicht nur für die Fundamentalisten.“

Als die beiden wieder verschwunden sind, sinniert der Ordnungshüter: „An sich sind die Alawiten ja ein friedfertiges Volk, wir wollen hoffen, daß es auch heute dabei bleibt.“

Am Kundgebungsort, dem Kölner Neumarkt, applaudieren die Organisatoren den DemonstrantInnen. „Hier können wir demonstrieren und Druck ausüben“, meint Erdal*, während sich der Neumarkt bevölkert. Wenn er, der Kurde und Alawit, bislang sein Heimatdorf in Ostanatolien besuchte, durfte er sich nicht offen zu seinem Glauben bekennen. Mittlerweile, so sagt Erdal, könne er nicht einmal mehr dorthin fahren: „Da regieren jetzt Rechtsextremisten mit Fundamentalisten.“ Den Terror gegen seine Religion in der Türkei verfolgt er in der Zeitung: „Das ist sehr schmerzhaft.“

Die RednerInnen fordern den Rücktritt der Regierung in Ankara: „Wir wollen, daß kein Blut mehr vergossen wird.“ Die Türkei solle den alawitischen Glauben offiziell anerkennen, außerdem solle diese Glaubensrichtung des Islam ebenfalls in türkischen Schulen gelehrt werden.

Zahllose Hände recken sich in die Höhe, die Menschen spreizen die Finger zum Friedenszeichen und singen ein altes Volkslied: „Kommt zusammen, Völker, wir werden eins.“ Zum Abschluß kommt der Musiker Ihsan Guvercin auf die Bühne: „Unsere Freiheit ist es nicht, Menschen umzubringen. Unsere Waffen sind unsere Worte“, singt er. „Das gilt für alle, nicht nur für die Alawiten“, betont Erdal.

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