: Im Schatten der verbrannten Erde
■ Im Südsudan tobt Afrikas ältester Krieg. In weiten Regionen merkt man davon nichts - außer den Zustand abgrundtiefer Not, in dem Jahrzehnte des Unfriedens die südsudanesische Bevölkerung hinterlassen haben
Im Schatten der verbrannten Erde
Es ist ein Afrika wie im alten Bilderbuch: Runde Lehmhütten mit Grasdächern mitten im Busch; nackte Menschen, nur mit einem Lendenschurz bekleidet; kein Strom, kein Telefon, keine Teerstraßen, keine Autos, keine Supermärkte – dafür Löwen, Affen und Elefanten.
Weite Teile des Südsudan sehen auch heute noch so aus. Mit einer Ausnahme: Wilde Tiere gibt es nur wenige. „Die haben die Leute hier fast alle in den letzten Jahren aufgegessen“, erklärt Felix Wani, als wir einer Gruppe von Männern begegnen, von denen einer ein Leopardenfell unter dem Arm trägt. „Die Jäger gehen heute heimlich über die Grenze. Hier in der Nähe liegt ein zairisches Wildreservat.“
Felix Wani ist ein Agronom aus dem Südsudan. Gemeinsam mit zwei ausländischen Kollegen ist er im Auftrag der deutschen Hilfsorganisation „Afrika in Not“ in den kleinen Grenzort Lasu in der südsudanesischen Provinz West- Äquatoria unterwegs. Die Organisation tauscht Nahrungsmittelüberschüsse von Bauern gegen Salz, Zucker, Decken und Fahrräder ein, um dann die Produkte an Bedürftige, vor allem an Kriegsvertriebene, zu verteilen. „Damit wird die Produktion angekurbelt, und das ist sicherlich sinnvoller, als Reis aus Pakistan zu importieren“, meint Vivian Erasmus von „Afrika in Not“.
Erdöl und Gold gibt es hier, im fruchtbaren Klima können Mais, Cassava, Bohnen und Bananen im Überfluß wachsen. Die Landschaft in West-Äquatoria wird von riesigen, dunkelgrünen Mangobäumen beherrscht: Über und über hängen sie voll mit den schweren, süßen Früchten, von denen die ersten in diesen Tagen reif von den Ästen fallen.
720.000 Einwohner des Südsudan sind aber nach Angaben des UNO-Welternährungsprogramms WFP von Nahrungsmittelhilfen abhängig. Mehr als 300.000 Flüchtlinge haben sich nach Uganda gerettet, Zehntausende nach Kenia, eine unbekannte Zahl nach Zaire. Mehr als 160.000 Vertriebene leben innerhalb des Landes in Lagern, die vielfach schwer zugänglich sind und deshalb von keiner Hilfe erreicht werden. Folgen eines Krieges, der endlos scheint. An Orten, die nicht gerade von Sudans Luftwaffe bombardiert werden oder unmittelbar an der Front liegen, herrscht trügerische Beschaulichkeit. Kein Schuß ist zu hören, kein Panzer zu sehen, auch keine Verwundeten und Toten. Und dennoch greift der Krieg in jeden Lebensbereich ein.
In Lasu ist die Welt zu Ende. Die schlaglochzerklüftete Straße dorthin verdient den Namen kaum. Autos haben hier jedoch ohnehin nur ausländische Helfer und in größeren Ansiedlungen vielleicht die ranghöchsten SPLA- Kommandeure und die Distriktverwalter. Niemand aus Lasu gehört zu dieser Elite.
Früher habe er in seinem Laden von Rasierklingen über Zigaretten, Salz und Zucker bis zu Zahnpasta eine relativ breite Warenpalette anbieten können, erzählt Faustin Khamis, der das einzige Geschäft in Lasu führt. Zairische Händler hätten die Güter hereingebracht. Mitte Dezember aber hat Zaire, das freundliche Beziehungen zu Sudans Regierung unterhält, die Grenze geschlossen. Jetzt liegen in den Regalen des Ladens nur noch sieben einsame Stücke Kernseife. Davor steht ein altes Fahrrad ohne Pedale, mit verrosteter Kette und zerbrochenem Sattel. Es gehört Khamis selbst, der hofft, daß irgendwann jemand ihm dafür die geforderten 2.000 sudanesische Pfund bezahlt, umgerechnet etwa 17 Dollar. „Mit dem Geld will ich meine Probleme lösen“, sagt der Verkäufer.
Was kann er meinen? Das einzige, was sich in Lasu mit Geld noch kaufen läßt, ist das örtliche Honigbier, das Mary Kolo jeden Tag ab drei Uhr nachmittags aus einem großen Tonkrug in Blechschalen füllt. Eine Schale kostet 50 Pfund. „Im Schnitt ist man so nach drei oder vier Schalen betrunken, aber einige schaffen auch zehn“, erklärt die Barfrau.
Es gibt nicht viel zu tun in Lasu. Vier Kirchen stehen in dem Ort. Gebetsgruppe, Jugendarbeit und Chorsingen sind Gelegenheiten für geselliges Beisammensein in den langgestreckten Lehmbauten mit Bänken aus Baumstämmen. „Es kommen sehr viele Leute in die Gottesdienste, weil das der einzige Ort ist, wo sie Trost finden können“, erzählt der presbyterianische Priester Elias Taban. „Hier sind so viele Vertriebene, die Leute verlieren so viel. Wenn sie kommen und zu Gott beten, haben sie das Gefühl, daß eines Tages ihre Probleme gelöst werden.“
An anderen Orten kann dieses Gefühl kaum entstehen. Ein kleines Gesundheitszentrum wird von „Afrika in Not“ mit Medikamenten für die häufigsten Krankheiten wie Malaria, Husten und Durchfall versorgt. Wer schwer erkrankt, muß sterben. „Wir sollen die schweren Fälle nach Maridi schicken“, erklärt Medizinassistent William Duku. „Aber das ist wegen der Transportprobleme praktisch unmöglich.“ Maridi, die Stadt mit dem einzigen Krankenhaus in West-Äquatoria, ist etwa 250 Kilometer entfernt – eine Weltreise.
Der ständige Kampf um die Erfüllung der einfachsten Grundbedürfnisse ist in Lasu Alltag. Es gibt eine Grundschule. „Aber ihr Standard ist sehr schlecht“, meint Clement Lasu Daniel. Er hat 1992 seine Heimat in der Nähe der Stadt Yei, die von Regierungstruppen gehalten wird, aus Angst vor Bombenangriffen verlassen. „Es gibt kein Material und keinen qualifizierten Lehrer. Die meisten Lehrer sind ins Exil gegangen.“ Schüler ziehen nach: Clement Lasu Daniel hat das älteste seiner sieben Kinder, einen 13jährigen Sohn, nach Uganda geschickt, damit er dort in einem Flüchtlingslager eine Schule besuchen kann.
Santino Lumeiri ist Lehrer. Seit 1991 arbeitete er hier als Grenzer. Seit die Grenze geschlossen ist, hat er nichts mehr zu tun. Warum unterrichtet er nicht? Santino Lumeiri zuckt die Schultern: „Es hat mich keiner dazu aufgefordert. Wir werden uns später um so etwas kümmern.“
Wir: das ist die Rebellenbewegung SPLA, die Lasu 1990 erobert hat. Aber ihre Repräsentanten haben der Bevölkerung kaum etwas anzubieten. Was die von den neuen Herren hält, läßt sich schwer in Erfahrung bringen: Kein Interview darf geführt werden, ohne daß ein offizieller SPLA-Beauftragter daneben steht und zuhört.
„Die Probleme hier sind nicht militärischer, sondern ziviler Natur“, meint der lokale SPLA-Kommandeur Makuach Manase. Ausländische Organisationen müßten dringend mehr Hilfe hereinbringen. Mehr als 8.000 Kriegsvertriebene hat es in den letzten Jahren SPLA-Angaben zufolge nach Lasu und Umgebung verschlagen. Monica Awate ist mit ihren drei Kindern vor zwei Wochen aus dem Dorf Gokiri, 20 Kilometer von hier entfernt, geflüchtet: „Der Feind kam mit Panzern und Lastwagen und hat Leute verschleppt. Da sind wir gerannt.“ Von ihren Besitztümern konnte sie nichts retten.
Viele sind seit Jahren auf der Flucht: „1990 wohnten wir an der Hauptstraße, dann sind wir wegen der Luftangriffe weiter in den Busch gezogen, dann wieder woanders hin, und jetzt sind wir hier.“ Es ist schwer für die Bäuerin Rejoice Kezi, Nahrung für sich und ihre sechs Kinder zu finden. Aber in Lasu fühlt sie sich sicher.
Dieses Gefühl kann sie trügen. Die Front ist etwa 30 Kilometer entfernt, an einer Stelle entlang der einzigen Straße, die Lasu mit der Außenwelt verbindet, sogar nur fünf Kilometer. „Wir sitzen in der Falle“, meint Priester Elias Taban. „Und niemand weiß, was passieren wird.“ Die Jahreszeit der schon traditionellen Militäroffensiven sudanesischer Regierungstruppen hat gerade erst begonnen.
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