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Laß das Klavier in Ruhe!

■ "Eine kleine "Bremer Rewüh" für Konrad Weichberger, Bremens vergessenster Dichter

Vor fast 50 Jahren starb in Weimar der Oberschullehrer a.D. Konrad Weichberger. Na und? Warum ist dem Mann auf dem Friedhof der Dichter und Denker nicht die verdiente Ruhe gegönnt? Ganz einfach, Konrad Weichberger hat für die Hansestadt die Funktion des rettenden Strohhalms in Sachen literarisches Erbe übernommen. Zur Zeit wird Weichberger als der vergessene Bremer Dichter gehandelt.

Unter dem vielversprechenden Titel: „Die Sache mit dem Klavier und dem Gummischuh“ ist Konrad Weichberger jetzt eine „kleine Bremer Rewüh“ gewidmet. Im Vortragssaal des Focke-Museums wird Auferstehung, Wiederentdeckung und verspätete Umarmung gefeiert. Drei Bremer Künstler bilden das Festkomitee: ein Schauspieler, ein Pianist und ein Sänger. Siebzig Minuten mit Texten von und über Konrad Weichberger, die seine Geschichte erzählen.

Konrad Weichberger wurde 1877 in Weimar geboren und kam 1903 nach Bremen. Gründe dafür sind nicht bekannt. Im selben Jahr entsteht sein erster Gedichtband „Schorlemorle“. Sein Brot muß der Ehemann und Vater von sechs Kindern als Lehrer verdienen. Unter der Woche gehört er dem Kollegium einer Bremer Oberrealschule an, wo er durch ungewöhnliche Unterrichtsmethoden auffällt. „Häufig erscheint der Lehrer Konrad Weichberger barfuß zum Schulunterricht“, heißt es in den Protokollen. Er wolle damit die Kinder aus ärmeren Schichten, die sich keine Schuhwerk leisten können, moralisch unterstützen. Bei den Kollegen findet das ebensowenig Verständnis wie die Anschaffung des damals modernen Grammophons und das Abspielen von Jazzmusik - „ohne eine einziges Textwort“. Die Kinder seien begeistert gewesen. Ein psychatrisches Gutachten stellt fest, daß „bei Prof. Weichberger paranoid-querulatorische Züge“ dominierten und er deshalb „geisteskrank und infolgedessen nicht dienstfähig“ sei. Das war 1928, Weichberger wird vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Er arbeitet später an Übersetzungen und geht in seine Geburtsstadt Weimar zurück, wo er 1948 stirbt.

Bremer Dichter - ein Widerspruch in sich? Noch heute wirkt die Idee eines hanseatischen Poeten auf die lokale Literaturszene so befremdlich wie Grünkohl mit Himbeersauce. Spontan gluckst das Publikum, als Rudolf Höhn den Autor mit den Worten „der völlig zu Unrecht vergessene Bremer Dichter“ vorstellt.

Schräger Jazz aus Weichbergers Tagen fehlt bei der literarischen Feierstunde nicht. Auf der schlichten Bühne stehen ein Klavier und zwei Stühle am Bistrotischchen. Nils Roese schlüpft in die Rolle des Sängers, kehrt mit klassischem Gesang die gefühlvollen bis kitschigen Töne in Weichbergers Poemen hervor. Dietmar Kirstein spielt den Mann am Klavier. Er begleitet und interpretiert die windschiefen Großstadtsituationen zwischen Kneipe und Straßenbekanntschaften, von denen Weichbergers Texte handeln. Und Rudolf Höhn endlich, der Schauspieler, rezitiert die Weichbergerschen Skurrilitäten, gibt ihnen den kühlen Ton der Behauptung, den die Absonderlichkeiten brauchen. So lauscht der Zuhörer gebannt dem höheren Blödsinn in Weichbergers gänzlich unwahrscheinlichen Geschichten.

Und da hat der Bremer Karl Valentin Einiges zu bieten. Den Hundverkauf zum Beispiel: Weil er knapp bei Kasse ist und auch das Futter für den Vierbeiner teuer ist, verfällt Herrchen auf den Gedanken, seinen Hund verkaufen zu wollen. Leichter gesagt als getan. Na, vielleicht kommt ja einer und will den Hund. Aber vielleicht muß man auch Werbung machen. Am Ende lernt der Autor eine Menge Leute kennen, den Hund ist er wahrscheinlich nicht los geworden.

Aber am schönsten Konrad Weichbergers Gedicht „Abschied“. Auf die ersten vier Zeilen gründet sich der legendäre Ruhm des Bremer Poeten. Kurt Tucholsky hat es als sein „allerliebstes Lieblingsgedicht“ gelobt. „Abschied“:

Laß du doch das Klavier in Ruhe;

Das hat dir nichts getan;

nimm lieber deine Gummischuhe

Und bring mich an die Bahn.

Irgendwann hat Konrad Weichberger dann tatsächlich seine Gummischuhe genommen, ist an die Bahn gegangen und aus Bremen abgereist. Zurückgelassen hat er wahrscheinlich nicht nur das Klavier und eine Schublade voller Gedichte, sondern auch die Erinnerung an eine schräge Gestalt, an einen Bremen Dichter.

Susanne Raubold

Nächste Vorstellungen: heute und morgen um 20.30 Uhr im Focke-Museum, am 31.3. um 20.30 Uhr in Hofhoyerswege in Ganderkesee.

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