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Hosianna & Kriegsgetöse

■ Zerfahren, zerhackt und unentschlossen: Brittens Meilenstein „War Requiem“ in der „Glocke“

Ob die Musik etwas ausdrücken kann und wenn ja, was – darüber hat es seit jeher ästhetische Debatten gegeben. In unserem Jahrhundert war Igor Strawinsky der Exponent der Meinung, Musik könne gar nichts ausdrücken. Darüberhinaus ist es sicher so, daß die seelische Bewegung, die Musik unter Umständen auslöst, ein höchst unsicheres Maß für den ästhetischen Wert des Werkes ist. Solche Fragen tauchen anläßlich der Aufführung des „War Requiem“ von Benjamin Britten, ein zutiefst ausdrucksgeladenes, aber auch eklektizistisches Werk, in verschärfter Form auf. Denn der Anspruch ist ja nicht eben gering: Britten will, mit seiner Montage des lateinischen Requiemtextes und der Antikriegsgedichte des, im Ersten Weltkrieg gefallenen, 25jährigen, Wilfried Owen Bewußtsein schaffen dafür, daß jeder Krieg immer ein verlorener ist.

Das Werk ist 1961 zum Wiederaufbau der von den Deutschen zerstörten Kathedrale von Coventry geschrieben. Der erschütternde Schlußgesang ist dem Solotenor und Bariton anvertraut, die den deutschen und englischen Soldaten verkörpern. Brittens Apparat ist riesengroß: Der Chor singt den Messetext, das Orchester ist spätromantisch stark besetzt, die drei Solisten werden von einem individualisierten Kammerorchester begleitet, zusätzlich gibt es einen Knabenchor. Dieser Reichtum der Formmittel aber, vom innigen Sologesang bis zum Massenaufwand des „Libera me“: In dieser Aufführung in der Bremer „Glocke“ kam er nicht ausreichend heraus.

Der englische Gastdirigent John Carewe, der das philharmonische Staatsorchester leitete, entschied sich zunächst einmal für eine kaum erkennbare, diffuse Zeichengebung. Der ganze Anfang klang ungenau bis orientierungslos. Gleichzeitig zerhackte er das „Dies Irae“ so stark, als handele es sich um ein Stück von Carl Orff. Auf der Strecke blieb die Ausdruckskraft des Brittenschen Melos.

Häufig auch kam die Musik einfach nicht von der Stelle, um dann in einem unmotivierten Fortissimo gleichsam zu explodieren. Es fehlte einfach durchgehend eine Klanggebung und ein Rhythmus, der die Dinge dramaturgisch so genau benennt, wie sie komponiert sind. Zum Beispiel, wenn der Tenor gleich nach dem Eingang eher schreit als singt: „Was läutet man für die, verreckt wie Ratten?“ Oder wenn im Sanctus der Hosiannajubel in Kriegsgetön und Trommelschläge umgedeutet wird: Das blieb alles so undeutlich, daß Brittens Ansatz kaum aktuell erscheint.

Die große Sing-Akademie – einstudiert von Theo Wiedebusch – gab sich größte Mühe, klebte allerdings gelegentlich zu sehr an den Noten. Gegen Ende wuchs die Leistung beeindruckend. Der Knabenchor der Kirche Unser Lieben Frauen – einstudiert von Ansgar Müller-Nanninga – kam schon rein akustisch kaum zur Wirkung und verspielte damit auch seine inhaltliche Funktion. Die Sopranistin Renate Behle glänzte im Lacrymosa, der Tenor Neil Mackie und der Bariton Dale Duesing sangen tadellos, streckenweise ergreifend, aber wagten es kaum, den „schönen“ Ton zu verlassen, um den harten Owens-Texten die entsprechende Expression zu geben. Die Aufführung wurde im Laufe des Abends besser und endete zufriedenstellend: Erinnerung und Warnung zugleich am selben Tag, an dem Bremen Kurden abschiebt.

Ute Schalz-Laurenze

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