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Trödelmarkt der Schäbigkeiten wird geschlossen

■ Grund der Schließung: Schwarzhandel in der Weddinger Gustav-Meyer-Allee

„Lieber verzollt als verknackt“, steht auf dem Plakat des Bundesfinanzministeriums, das auf dem U- Bahnhof vor dem Kauf unverzollter Zigaretten warnt. Doch die massenhaft am Wochenende auf den Weddinger Flohmarkt strömenden Besucher beeindruckt das nicht. Sie decken sich lieber steuerfrei bei den polnischen Zigarettenschiebern ein. Gleich vorne auf der Gustav-Meyer-Allee stehen rund hundert von ihnen mit dicken Taschen und ausgebeulten Jacken und Mänteln.

Eine wahre Fundgrube für die Polizei, die auf dem Markt nicht nur Zigarettenschmuggler, sondern auch Diebe und Einbrecher beim Verkauf ihrer Beute festnimmt. Grund genug für das Bezirksamt Wedding, den Flohmarkt Ende März zu schließen. Die Händler haben bereits reagiert und wollen den Flohmarkt nun auf der Oranienburger Straße weiterführen. Die Polizei erwartet ihrerseits nur eine Verlagerung der Schwarzhändler-Szene.

Der ursprüngliche Flohmarkt auf der gut achthundert Meter langen Gustav-Meyer-Allee ist längst zu einer schäbigen Freihandelszone verkommen, bei der die seriösen Händler in der Minderzahl sind. Während zwei Polen um einen Radiator feilschen, der aus den Anfangszeiten der Elektrifizierung stammt, versucht ein Russe eine Videokamera an den Mann zu bringen.

Zwischendrin immer wieder polnische Handlungsreisende, die ein paar Habseligkeiten auf einem Tuch ausgebreitet haben: Bündelchen mit Legosteinen, gebrauchte Kinderschuhe oder Teile eines wohl zuvor zeitweilig herrenlos am U-Bahnhof angeketteten Mountainbikes. Während im vorderen Drittel des Marktes offensichtlich redliche Geschäftsleute überwiegen, wird es nach hinten immer erbärmlicher. Der Begriff Flohmarkt wird zum reinen Euphemismus angesichts dieses Mülls, der auf Kartons und improvisierten Tischen angeboten wird. Rumänische Sinti verhökern ärmeren Türken die Klamotten, die offensichtlich in den Tagen zuvor aus Altkleidercontainern gewühlt wurden. Ein schier unerträglicher Gestank, der dennoch keinen der überwiegend orientalischen Kunden davon abhält, in den klammen Lumpen nach Schnäppchen zu wühlen.

Besonders aromatisch auch der Stand mit den Gebrauchtlatschen, neben dem ungerührt die peruanische Indiogruppe Dosqo Runas aus dem Andenhochland ein Folklorekonzert gibt. Doch hier interessiert sich keiner für die Musikkassetten die der jüngste der Gruppe feilbietet. Dafür wippt ein junger Moslem rhythmisch mit, der vor sich ein Bündel Autoradios, unbestimmter Herkunft auf einem Tapeziertisch bewacht. Peter Lerch

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