Die braune Röhre

■ Das deutsche Fernsehen kommt ins Rentenalter: Heute vor sechzig Jahren begannen die laufenden Bilder auch zu flimmern

Und da heißt es doch: die Geschichte wiederholt sich nicht – und wenn doch, dann als Farce. Ein böses Omen für das interaktive Fernsehen?

Jedenfalls waren die Parallelen erstaunlich, als vor fünf Wochen in Berlin die Telekom ihr erstes Demonstrationsprojekt für interaktives Fernsehen in Betrieb nahm: Fünfzig Multiplikatoren aus Politik, Telekom, Medienverwaltung und bei der Presse bekamen einen Anschluß. Die Öffentlichkeit darf sich die Spielerei immerhin gastweise ansehen – zum Beispiel im Postmuseum (West).

Fast genauso war es heute vor sechzig Jahren, als Reichspost und Reichsrundfunkgesellschaft das erste regelmäßige Fernsehprogramm der Welt ausstrahlten. Auch damals waren es fünfzig Multiplikatoren, die eines der fast würfelförmigen, ein Meter hohen Empfangsgeräte zur Verfügung gestellt bekamen.

Vorerst an drei Tagen in der Woche, montags, mittwochs und samstags zwischen 20.30 Uhr und 22 Uhr, wurde gesendet, hauptsächlich Wochenschaumaterial und einige Spielfilme. Die breite Öffentlichkeit mußte sich bis zum 9. April 1935 gedulden, bis die erste sogenannte „Fernsehstube“ in Betrieb ging – damals im Postmuseum in der Leipziger Straße.

Gemeinhin wird der Start der technologischen Entwicklung zum Fernsehen im Jahr 1884 angesiedelt. Damals wurde dem Berliner Studenten Paul Nipkow ein Patent erteilt für die Entwicklung der sogenannten „Nipkow-Scheibe“. Wenn diese Scheibe, auf der spiralförmig eine Anzahl von Löchern eingestanzt war, in Rotation versetzt wurde, ergab sich damit die Möglickeit, das Abbild eines hinter der Nipkow-Scheibe liegenden, möglichst hellen Objekts zeilenweise abzutasten. Eine Fotozelle wandelte das durch die Lochscheibe empfangene Licht in elektrische Signale um, die dann per Leitung zu übertragen waren.

Es dauerte jedoch noch bis in die 20er Jahre, bis die Entwicklung kompletter Fernsehsysteme einen enormen Aufschwung nahm. Vorarbeiten des Ungarn Dénes von Mihàly (1914) und von Forschern um Boris L. Rosing im Labor der Petersburger Artillerieschule, die sich ab 1910 mit der Braunschen Röhre als Bildschreiber befaßt hatten, bildeten die Grundlage für verschiedenste Apparaturen, die im Laufe der zwanziger Jahre in den führenden Wirtschaftsnationen als Vorschläge für ein Fernsehsystem ausgetüftelt wurden.

Im Jahre 1928 wurden in den USA und in Deutschland erstmalig Fernsehübertragungen öffentlich vorgeführt. In Deutschland bot die Berliner Funkausstellung den Anlaß, in den USA war es der Parteitag der Demokraten in Albany/ New York, bei dem erstmals ein TV-Bild live übertragen wurde. Die Zahl der eingeschalteten Empfangsgeräte ist leider nicht überliefert. Das direkte Senden hatte man in Deutschland allerdings noch nicht im Griff, im Gegensatz zu den USA. Dort ging drei Tage nach dem Ende der Berliner Funkausstellung das erste Fernsehspiel durch den Äther. Der technische Durchbruch für das Fernsehen kam aber erst, als dem jungen Manfred von Ardenne Ende 1930 als erstem die elektronische Übertragung eines Fernsehbildes gelang. Damit waren die Voraussetzungen für die Fernsehzukunft geschaffen.

Die BBC kündigte schließlich für den Herbst des Jahres 1935 den Start eines regelmäßigen Fernsehprogramms an. Das konnten die Nationalsozialisten nicht auf sich sitzen lassen, und sie beeilten sich nun aus Propagandagründen, den Engländern zuvorzukommen – und das im zweifachen Sinne des Wortes Propaganda: als technische Pionierleistung des herrschenden Systems und als Mittel zur Beeinflussung der Massen.

Den größten – auch internationalen – Propagandaerfolg erzielten die Nazis mit ihrem Fernsehen anläßlich der Olympiade 1936. In insgesamt 25 Fernsehstuben in Berlin konnten die Zuschauer live bei den Wettbewerben dabeisein.

Trotz der propagandistischen Anstrengungen der Nazis spielte das Fernsehen letztlich in Deutschland kaum eine Rolle. Anders in England: zwischen 20.000 und 25.000 britische Haushalte besaßen im Sommer 1939 schon ein Empfangsgerät. Demgegenüber waren es in Frankreich und in Deutschland zu diesem Zeitpunkt nach Schätzungen etwa 250 bis 400 Geräte, hauptsächlich in Paris und Berlin. In England lief am Mittag des 1. September, dem Tag des Kriegsausbruchs, vorerst die letzte Sendung. In Deutschland erhielt die Reichspost noch bis zum Herbst 1944 den Fernsehdienst aufrecht, bis 1943 über den Äther, später immerhin noch über Kabel in einige Kriegslazarette in Berlin und Leipzig. Danach herrschte in Deutschland erst einmal acht Jahre lang Sendepause. Jürgen Bischoff

Siehe auch: „Fernsehen anno dazumal“, 0.15 Uhr, ZDF