: Betrüger vorm Amtsgericht
■ Was sind 223.000 DM Subventionsschwindel gegen 660 DM unbezahlte Arztrechnung?
Dienstag früh, Amtsgericht Raum 551. Zur Verhandlung soll ein „versuchter Subventionsbetrug“ kommen, es geht um 223.000 Mark. Die Anklagebank bleibt frei, der Termin gegen Martin G. ist aufgehoben: Er hat angegeben, daß er seinen Steuerberater beauftragt hatte, den Antrag auf Subventionszuschuß zu stellen. Das Gericht will trotz jahrelanger Ermittlungsdauer nicht weiter prüfen, ob das stimmt und wie ein Steuerberater dazu kommen kann, einen Investitionszuschuß zu beantragen, obwohl es sich um gebrauchte Wirtschaftsgüter handelte. Ob der Steuerberater sich das selbst überlegt hat oder ob vielleicht der Unternehmer seinem Steuerberater fälschlicherweise gesagt hat, daß es sich um neuwertige Wirtschaftsgüter handele - dann wäre es Betrug - will das Gericht nicht wissen. Es will das Verfahren einstellen wegen „geringer Schuld“ (153a).
Mittwoch früh, Amtsgericht Raum 451. Zur Verhandlung soll ein „Betrug“ kommen: Der Sozialhilfeempfänger Josef T. hat dreimal einen Tierarzt besucht und hinterher die Rechnungen nicht bezahlt. Der Schaden: mal 272 Mark, mal 68 Mark, mal 320 Mark. Betrug ist dieses Verhalten, wenn Josef T. von vornherein wußte, daß er die Rechnungen nicht bezahlen konnte, den beiden betroffenen TierärztInnen gegenüber aber den Eindruck vermittelt hat, er könne zahlen.
Amtsrichter Zorn nimmt sich drei Stunden Zeit, um diese Frage zu klären, vier Zeugen sind geladen. „Was machen Sie beruflich?“, fragt Richter Zorn. „Troubleshouting“, sagt T. Der Richter fragt zweimal nach. „Naja, so ne Menge für Kripo und Staatsanwaltschaft“, erläutert der Angeklagte, und dann rasselt er runter: „K 12, K 62, K 33 ...“, und vom Amtsgericht habe er die Notverwaltung eines Gebäudekomplexes übertragen bekommen. Dennoch bezieht er den vollen Sozialhilfesatz. Wie das? „Die Honorarvereinbarungen sind gut, aber die Zahlungsmoral schlecht.“
Richter Zorn gibt erstmal auf. „Nun zur Anklage“ sagt er. Und dann liest der Staatsanwalt die Anklage vor: Am 14.1.1993 hatte T. einen Tierarzt aufgesucht, der Hund war verletzt, die Rechnung betrug 272 Mark. „Zu dem Zeitpunkt war ich ganz klar in der Lage, die Rechnung zu bezahlen“, versichert T. Denn damals habe er mit einer Freundin zusammengelebt, die habe ein großes Hotel auf Spiekeroog, das ihrer Tante gehört, geführt, und da hat er illegale Beschäftigung aufgedeckt, auf den ganzen ostfriesischen Inseln eigentlich, die Staatsanwaltschaft Aurich ermittelt. Und dazu für den umweltpolitischen Sprecher der FDP im niedersächsischen Landtag gearbeitet, da ist die Staatsanwaltschaft Stade eingeschaltet, während im zweiten Fall die Tierärztin einen Freund in Tarmstedt gehabt hatte... „Bitte jetzt nicht Tarmstedt“, sagt der Richter verzweifelt.
„Stimmt es, daß Sie sich als Landtagsabgeordneter ausgegeben haben?“„Nein“, widerspricht T. vehement, das habe er nicht. Der Tierarzt im Zeugenstand erinnert sich sehr wohl. „Erinnern Sie sich, daß Sie sich mit mir zu einem Essen abends im Romeo&Julia verabredet haben?“ fragt T. die Tierärztin. „Wollen Sie damit sagen, daß Sie davon ausgegangen sind, daß Sie keine Rechnung bekommen für die Behandlung Ihres Hundes?“ unterbricht der Richter interessiert. Die Tierärztin wehrt ab: „Da müssen Sie etwas verwechseln. Sie haben meiner Arzthelferin etwas von einem Jaguar erzählt und daß Sie das ganze Lokal anmieten würden...“
Nach drei Stunden gibt der Richter auf. Tatsächlich hatte T. einen Arbeitsvertrag für Spiekeroog vorgelegt, verdient hatte er damals aber nichts. Den Nachweis, daß T. aufgrund des Arbeitsvertrages nicht davon ausgehen konnte, daß er die Tierarztrechnung bezahlen konnte, will das Gericht sich ersparen. Einstellung wegen „geringer Schuld“ nach § 153. K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen