: In Pastell und Anthrazit
■ Peter Palitzsch und Karl Kneidl inszenierten Becketts "Endspiel" am BE
Das Berliner Ensemble hat einen Autor entdeckt! Er ist 1906 in Dublin geboren, verstarb 1989 in Paris und heißt Beckett, Samuel. Er soll eigenwillige Romane und wohl etliche bemerkenswerte Theaterstücke verfaßt haben, die auf vielerlei Umwegen in die Hände der Dramaturgen am Berliner Ensemble gelangten. Nach genauem Studium erkannte man, daß „trotz der Düsternis und scheinbaren Ausweglosigkeit“ die Grundlage der feste „schwarze Humor“ bilde. Damit jedoch keine Mißverständnisse oder fatalistische Gedanken beim Publikum aufkommen, erteilt der Germanist Hans Mayer im Programmheft aufklärerische Hilfestellung; und gleich zwei Regisseure, Peter Palitzsch und Karl Kneidl, übernehmen die Aufgabe, den „ersten Versuch“ am Berliner Ensemble mit diesem Beckett zu riskieren.
Vor vierzig Jahren, als das „Endspiel“ entstand, da wäre die Konfrontation von BB mit SB am BE ein theatergeschichtliches Ereignis gewesen. Vor zwanzig Jahren unter Ruth Berghaus hätte man es noch als politischen Akt preisen können. Doch heute ist Beckett am dahindämmernden BE schlicht und einfach der Austausch eines modernen Klassikers durch einen anderen. Wobei nicht feststeht, welcher denn nun ein toter Hund ist. Brecht? Beckett? Oder sind sie es beide?
Peter Palitzsch jedenfalls hat die Dramatiker mehrfach inszeniert. Er ist ja nicht nur von Ulbricht zu Adenauer, sondern auch von Brecht zu Beckett übergelaufen. 1972 durfte seine Einrichtung von „Warten auf Godot“ zum Theatertreffen nach Westberlin reisen, und vor vier Jahren formulierte der 72jährige angesichts seiner zweiten Inszenierung ein Alters-Credo. „Beckett (gibt) doch eine Art Anleitung zum Überleben: Sein Vorschlag ist spielen!“
Eben dieser Maxime folgt Palitzsch auch in der neuen Beckettiade. Dessen neuer Ansatz ist es, keinen neuen Ansatz zu versuchen. Man spielt weitgehend vom Blatt, man betont, wie Beckett es wünschte, das Spiel im Endspiel, nicht das Ende. Die kühnste Interpretation der Regisseure ist es, die Bühne als expressiv roten – blutig roten – Bretterverhau zu gestalten. Ansonsten folgen Palitzsch und Kneidl Beckett auch in dem Wunsch „so viele Lacher wie möglich aus diesem fürchterlichen Zeug“ herauszuholen. Und damit fahren sie gar nicht schlecht; ihnen gelingt eine gute, temporeiche, detailgenaue, sogar leichtfüßige, komödiantische Inszenierung: Das ist nicht wenig am BE.
Der Abend gehört den Schauspielern. Und wenn man eine griffige Interpretation dieses „Endspiels“ haben will, dann könnte man sagen: Den von Beckett zentral bewerteten Krieg zwischen Hamm und Clov zeigt Palitzsch als Krieg zwischen Schauspielern verschiedener Tradition, mit Volker Spengler aus dem Westen und Hermann Beyer aus dem Osten.
Spengler: Melone, schwarzer Smoking, gelb bandagierte Beine, sitzt fett und unbeweglich im Zentrum der Bühne. Bald nölt er seine Geschichten, bald posiert, bald affektiert, bald flötet er seine Sätze, mal zart, mal herrisch, mal sinnlich, dann verspielt, bald wie ein dickes, verzogenes Kind auf dem Thron, bald wie ein Komödiant als König.
Beyer: gestreifte Weste, ausgebeulte Hosen, ist sein rebellierender Butler. Er spricht scharf, skeptisch, ernst, distanziert, knapp. Er rutscht eckig die Leiter herunter, er hantiert mürrisch mit dem Fernglas, er steht und geht leicht geknickt, die Hände tief in der Hose versteckt. Knauserig mit seinen Bewegungen, seinen Antworten, seinen Gedanken, seinen Gefühlen, seinem Leiden. Dienst nach Vorschrift. Färbt Spengler jeden Satz in Pastell, so skizziert Beyer seine Figur in Anthrazit. Natürlich ergibt sich daraus kein Gemälde. Natürlich ist in diesem Endspiel keiner Sieger – aber es ist doch eine spannende Partie. Große Schauspielkunst an einem mittleren Stadttheater.
Nach diesen guten Erfahrungen ist es verständlich, daß die Direktion ihre Entdeckungen fortsetzen wird. Zunächst mit weiteren Werken dieses Beckett: „Warten auf Godot“ und „Glückliche Tage“. In der nächsten Spielzeit soll dann ein vollkommen verkannter Schreiber aus Augsburg vorgestellt werden. Und im Jahr drauf will die Dramaturgie sich den Werken eines Dichters aus dem sächsischen Eppendorf widmen. Sein Namen ist Müller. Oder so ähnlich. Dirk Nümann
Weitere Vorstellungen: 28. und 29.3., 19.30 Uhr, Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte.
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