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Schlank durch Sandoz

■ Bremer Klinik will Zentrum für Übergewichtige errichten. Das Konzept stammt vom Chemieriesen Sandoz

Die Deutschen werden immer dicker. Bereits jede/r dritte leidet hierzulande unter Übergewicht. An der Bremer St.-Jürgen-Klinik wollen Professor Wolfgang Arnold und Mitarbeiter Dr. Heiko Dirks dem Fett zu Leibe rücken: mit einem Behandlungszentrum, das sich speziell an Menschen wendet, die, so Dirks, „mindestens 20 Prozent über dem Regelgewicht“ liegen. Regelgewicht heißt Körpergröße minus 100 Zentimeter in Kilo umgerechnet.

Wer weit darüber liegt, hat in der Regel nicht nur Probleme mit dem Gewicht. Bluthochdruck, Hal-tungsschäden, Diabetes, Gicht, Thrombosen, Herzinfarkt, Arteriosklerose sind mögliche Folgen der Fettsucht. „Krankheiten“, erklärt Dirks, „die jährlich einen Schaden von mindestens 80 Milliarden Mark verursachen“. Insofern verstehen die beiden Ärzte ihr Vorhaben als Präventionsprogramm. Die Krankenkassen allerdings müssen davon noch überzeugt werden. Ursprünglich sollte das Zentrum bereits in den nächsten Monaten eröffnet werden.

Das Konzept dafür hat die Klinik bei einer Privatfirma angekauft. Der Arzt Heiko Dirks erlebt zum ersten Mal, daß eine private Firma therapeutische Konzepte vermarktet. Die süddeutsche Firma Wander GmbH trat 1990 mit „Optifast“ auf den Markt. Inzwischen ist es an bundesweit über 20 Kliniken Programm.

Die Behandlung dauert ein halbes Jahr. Eine medizinische Eingangsuntersuchung soll dafür sorgen, daß nur Menschen mitmachen, für die das schnelle Abnehmen ungefährlich ist, der psychologische Check dient vornehmlich der „Motivationsstärkung“. Die Übergewichtigen, in Gruppen von 10 Personen zusammengefaßt, treffen sich dann ein- bis zweimal wöchentlich nachmittags im Zentrum. Es wird Wert darauf gelegt, daß sie ihren normalen Alltag weiterleben und nicht im Inseldasein abschlacken, um danach wieder zuzulegen.

Zum Konzept gehört ein Team aus ÄrztIn, PsychologIn, ErnährungsberaterIn und BewegungstherapeutIn. Sie sollen während der ersten Wochen die PatientInnen von einer Fertigdiät überzeugen. 10 Wochen lang besteht die Nahrung der Übergewichtigen aus dem „Ulmer Trunk“ – der ist, so Dirks, seit 10 Jahren auf dem Markt und „ähnlich aufgebaut wie Slim-Fast“. Der Trunk sorge dafür, daß der Körper alle notwendigen Stoffe bekomme und gleichzeitig die Muskeln vor dem Abbau bewahre. Andere Diäten führen häufig zur Beeinträchtigung gerade des Herzmuskels – ein tödliches Risiko für Übergewichtige.

Nach zehn Wochen wird der Optifast-Trunk schrittweise durch eine kalorienarme Kost ersetzt. Das übrige Lernprogramm besteht aus Bewegungs- und einer Gruppentherapie, die stark am verhaltenstherapeutischen Ansatz ausgerichtet ist. „Die Einzelbetreuung ist weniger erwünscht“, sagt Dirks. Daß dabei tiefer liegende Gründe der Eßsucht verborgen bleiben, – der sexuelle Mißbrauch ist nach allgemeinen Schätzungen zu 50 Prozent ursächlich beteiligt –, räumt der Internist ein und hofft auf Einzelgespräche mit dem Arzt.

Schwierig sei auch, Bulimiekranke im Vorfeld auszufiltern. Für die nämlich sei Optifast nicht geeignet. Für die Übergewichtigen dagegen habe sich das Mittel bewährt: Ein Drittel der PatientInnen habe zwei Jahre nach Ende der Therapie, bei der sie etwa 20 bis 30 Kilo verloren hatten, das Gewicht halten können. Ein weiteres Drittel hatte 5 bis 10 Kilo zugelegt, die anderen waren wieder bei ihrem alten Gewicht. Die Abbruchquote, schwärmt Dirks, lag bei nur 10 Prozent – ein Wert, der „von keiner anderen Therapie erreicht“ werde. Daher will er Optifast, sollte das Konzept einmal an der Klinik etabliert sein, auf die Kinderklinik übertragen. Doch zunächst müssen die Krankenkassen noch ihr Placet geben.

Andernorts finanzieren sie die Kosten von etwa 5.000 Mark zu 50 bis 80 Prozent mit. In Bremen stellt die Klinik Räume und Einrichtung. Zahlen müsse sie für das Konzept weiter nichts, so Dirks, dafür erhalte die Firma Wander das Geld für den Ulmer Trunk. Der ist in der Apotheke unter dem Namen „Modifast“ (Firma Wander) bekannt. Modifast kostet 24,95 Mark und enthält neun Portionen Trockenpulver, Geschmacksversionen von Ochsenschwanzsuppe bis Vanillecreme. Bei der Volldiät braucht man allein sechs Tüten täglich. 150 Tage Volldiät also kann man sich für die 2.500 Mark holen, die der eigene Anteil der Therapie kostet.

„Das in der Therapie eingesetzte Mittel heißt nicht Modifast, sondern Optifast“, erklärt Frau Seidel von der Firma Wander. Die Produkte seien ähnlich, doch Optifast sei nur im Rahmen der Therapie und nicht in der Apotheke zu erstehen. Es sei für schwer übergewichtige Eßsüchtige entwickelt worden. Sie bestätigt stolz, daß Wander bislang bundesweit die erste Firma ist, die ein therapeutiches Konzept entwickelt und vermarktet. Daß das auch in Zukunft so bleibt, dafür sorgt womöglich die Mutterfirma: Die Wander GmbH gehört zu 100 Prozent dem pharmazeutischen Chemieriesen Sandoz. Sandoz hat in Nürnberg eine Niederlassung, wo sich auch der Sitz von Wander befindet.

Diäten, zumal mit einem Schlankheitsmittel unterstützt, sind äußerst umstritten. Abgesehen von möglichen Gesundheitsschäden, die manches Produkt begleiten, besteht, meint Ute Timmermann vom Bremer Frauengesundheitszentrum, „die Gefahr, daß dabei die Patientin aus dem Blick gerät und das Produkt in den Vordergrund“. Die für ihre Erfolge bekannte Berliner Einrichtung „Durch dick und dünn“ verzichtet daher ganz auf Diäten. Eine Mitarbeiterin: „Wir suchen nach den Gründen, die hinter der Eßsucht liegen.“

Dora Hartmann

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