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Klima in der Tüte

■ Bundesweite Aktion des BUND / Autofahrer verdutzt, weil ihnen die Klimakatastrophe verpackt überreicht wurde

Die Augen der Autofahrerin weiten sich panikartig. Während sie ihren Kleinwagen vor der roten Ampel zum Stehen bringt, kommt ein junger Mann mit weißem Schutzanzug und Staubmaske an ihre Tür, ein anderer macht sich mit einem blauen Plastiksack an ihrem Auspuff zu schaffen. Zwei als Eisbär und Pinguin verkleidete Menschen schieben eine Rollwand vor den Wagen, auf der ein noch ängstlicherer Autofahrer gezeichnet ist. Hinter diesem verschwindet die Silhouette Berlins in einem Orkan: „Vom Winde verweht ...“, liest die Fahrerin, bis sie das Klopfen am Fenster aufschreckt.

Vorsichtig kurbelt sie die Scheibe ein ganz kleines Stück herunter. „Guten Tag, Felix Beutler vom BUND“, stellt sich der Maskierte vor, „was halten Sie davon, daß Sie mit Ihrem Auto zum Klimakollaps beitragen?“ Die Frau ist verblüfft, guckt den BUND-Aktivisten entgeistert an. Dieser reicht ihr einen kleinen Faltprospekt durch den schmalen Schlitz, den sie wie ferngesteuert annimmt.

Fröhlich kommt vom Heck des Autos der andere Weißgekleidete. „Wollen Sie das mitnehmen?“, fragt er die ohnehin überforderte Frau, wedelt mit dem aufgeblasenen Müllsack vor dem Fenster und erklärt: „Ich hab' das gerade gesammelt, das kam in einer Ampelphase aus ihrem Auspuff.“ Mit halboffenem Mund schüttelt sie den Kopf. „Was passiert jetzt damit?“, hakt der Frager nach.

Die Ampel schlägt um auf rot- gelb, Bär und Pinguin geben die Straße und damit den Blick auf das Brandenburger Tor wieder frei, weiter hinten hupt jemand, und so fährt die Frau los. Fenster und Mund bleiben geöffnet.

„Die meisten Fahrer reagieren zunächst verdutzt“, erklärt Christoph Bröckers, während er seinen Müllsack für die nächste Rot- Phase leert. Das sei okay, findet der Arzt, schließlich sollten mit der bundesweiten Aktion Autofahrer darauf aufmerksam gemacht werden, daß sie selbst zum Treibhauseffekt beitragen. Anläßlich des UNO-Klimagipfels wären daher BUND-Aktivisten „in einem guten Dutzend Städte“ unterwegs. Unter den Linden sei am Morgen nur einer rausgesprungen und habe gebrüllt, daß niemand an seinem Auspuff rumfummeln solle.Doch auch während der nächsten Kurzgespräche bleiben die Insassen ruhig, meist schlägt das Erstaunen schnell in schlechtes Gewissen um. „Ich fahre nur heute zufällig mal mit dem Auto“, heuchelt der eine Fahrer. Ein anderer faselt zusammenhangslos etwas von „Dienstwagen“ und „bin ja nicht ich“. „Ich fühl' mich da nicht angesprochen“, versichert eine der zahllosen Sonst-nur-mit-Bahn- und-Bus-Fahrerinnen, die meisten haben aber gerade heute etwas zu transportieren, manche sind sozusagen gar nicht da.

Wohl aus Furcht vor einem BUND-Gespräch rauscht ein Oberstabsfeldwebel des Heeres bei Rot über die Ampel, der Querverkehr auf der Wilhelmstraße hupt seinem dunkelblauen Nissan Primera (Kennzeichen DAN-EH 14) hinterher. Unglaublich peinlich sind die Fragen auch dem Disc- Jockey, der selbst Mitglied im BUND ist, von der Aktion aber nichts wußte. „Ich komm' gerade von der Arbeit“, sagt er und zeigt auf seine Platten-Kisten: „Aber den Sack, den könnt Ihr mir ruhig hinten reinwerfen.“ Christian Arns

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